Ich würde so gerne mal wieder was euphorisches über Musik schreiben.
Aber dazu müsste mir erst mal wieder eine Platte über den Weg laufen, die Euphorie erzeugt.
Jedoch: Hamwanich. Fehlanzeige. Pustekuchen.
Seit nunmehr bald drei Jahren warten wir hier in diesem Blog auf die erlösende neue Indie-Gitarrenpop-Welle, die doch in den Jahrzehnten zuvor jeweils spätestens zur Mitte der Dekade in voller Blüte stand und uns wirklich manchmal glauben ließ, an dem abgedroschenen Slogan Rock’n’Roll will never die sei irgendwas dran.
Es scheint mir an der Zeit, etwas bärbeißiger an die Sache ranzugehen.
Kulturpessimismus war nie so mein Ding, aber womöglich hatten all jene Kulturpessimisten, die schon vor zwanzig Jahren, das Ende einer Ära und das Aussterben „handgemachter“ Musik proklamierten, doch kein so schlechtes Näsjen (die korrekte Schreibweise „Näschen“ sieht mir zu sehr nach einer Tätigkeit aus, deren eventuelle Fragwürdigkeit ich momentan nicht gänzlich auszuschließen vermag).

Nehmen sie die Frankfurter Musikmesse als Beispiel. Eine Jahr für Jahr schrumpfende Ausstellung. Was die Veranstalter mit dem lapidaren Hinweis darauf begründen, dass immer weniger Kinder und Jugendliche ein Instrument lernen. Ein Nachwuchsproblem sozusagen. Wenn immer weniger Menschen Gitarre spielen, ist es auch immer weniger wahrscheinlich, dass sich zahlreiche formidable Indie-Gitarren-Schraddel-Combos gründen. Mathematisch einwandfrei und „common sense, simple common sense“ (Mike Skinner).
Aber dieser Argumentationsstrang sollte nicht im Zentrum unserer Überlegungen stehen. Zum einen glaube ich nicht, dass heutzutage weniger junge Menschen Musik machen. Sie brauchen dazu lediglich kein Instrument im herkömmlichen Sinn mehr, sondern basteln ihre Musik vor dem Rechner.
Zum anderen wäre das keineswegs ein Beinbruch, wenn das musikalische Resultat stimmte. Tut es aber größtenteils nicht.

Mästen wir uns also einen waschechten Sündenbock.
Man führe sich vor Augen, dass vor 20-25 Jahren der unwiderrufliche weltweite Siegeszug der privaten Radio- und Fernsehanstalten von Statten ging. Lassen sie mich meine These gleich zu Beginn in einen plakativen Satz packen: Wer von Kindesbeinen an mit Radio FFH sozialisiert wird, der wird als Erwachsener beinahe zwangsläufig Scheißmusik machen.
Zu polemisch? Zu einfach gedacht?
Also gut, formulieren wir es etwas sachlicher: Wer mit dem allgegenwärtigen musikalischen Quark und den widerwärtigen, computergenerierten „Formaten“ der privaten Massenmedien aufwächst, dem fehlen als Erwachsener schlicht die Wurzeln, die Bezugspunkte, die Anknüpfmöglichkeiten, um geschmack- und kunstvolles zu schaffen.

Natürlich spielen alle großen Radio- und Fernsehstationen seit jeher Chartmusik, aber bis spät in die 80er hinein, war es eben trotzdem noch Musik. Und nicht Musikersatz.
Denn das ist ja das wahrhaft diabolische am privaten Rundfunk: dass sogenannte Popmusik nicht mehr produziert wird, um als solche gehört zu werden. Sondern um Werbeminuten zu verkaufen. Selbstverständlich wollte Popmusik schon immer verkaufen, nämlich sich selbst. Aber bei Formatpop geht es eben gar nicht mehr um Musik, sondern einzig um den Verkauf der Werbepausen und der in ihnen angepriesenen Waren. Der einzige Zweck der Formatmusik ist es, den Hörer vom Senderwechsel abzuhalten, damit er bis zur Werbepause dranbleibt. Deshalb darf nichts an ihr auffällig, außergewöhnlich, aufmerksamkeitserregend oder gar störend sein. Die Langweiligkeit, Profanität, Nebensächlichkeit und Fahrstuhloidität ist ihr also immanent.
Daher die unglaubliche Einfältigkeit und Inspirationslosigkeit des ganzen Boyband-/Superstar-/Kiddy-/Leckmich-Pops der vergangenen 20 Chartjahre und die keineswegs weniger debile Dauerabnudelung der vielleicht 200 Oldies aus den 60ern, 70ern und 80ern, die auf den Formaten ebenfalls täglich weltweit geschätzte dreitausendmal irgendwo laufen. Musikalischer Analogkäse. In meinem Buch sprach ich von FFH und Konsorten als „aurale Terrornetzwerke“. Damals meinte ich das eher schelmisch, aber bisweilen beschleicht mich der Gedanke, dass ich damit genau ins Schwarze getroffen habe.
Oder ins Braune, denn sagen wir es ruhig noch drastischer: Formatradio ist die AfD des Kulturbetriebs!
Und Kulturbetrieb ist an sich ja schon ein sehr niedrig angesetzter Begriff für etwas, was doch eigentlich Kunst sein sollte.

UntergrundDer sogenannte „Underground“ – größtenteils
musikalisch nicht mehr tragfähig

Radio war in den 60ern und 70ern das Hauptvehikel, um der verstaubten und verkrusteten Welt der Spießbürgerlichkeit in eine potenziell freud- und lustvollere Welt der Popkultur zu entfliehen. Das hielten wir für vermeintlich fortschrittlich, wenn nicht gar revolutionär, jedenfalls eine gute Sache.
Seit mindestens 20 Jahren aber ist Radio eine Farce, ein Mummenschanz, eine Konservierungsmaschine, ein Hort des Stillstands und der Reaktion – es ist, wie alle anderen Massenmedien, ein systematisches Volksverdummungs- und Sinnverkümmerungsinstrument.

Da hilft es dann auch nicht, dass wie durch ein Wunder immer noch manchmal echten Perlen ein Plätzchen im Angebot freigeräumt wird. Ganz im Gegenteil: Die Würde eines Songs ist leider alles andere als unantastbar, und wenn man meinethalben George Ezra oder The Lumineers (natürlich mit dem blödesten Song ihres Albums) zwischen Tom Jones und die Hooters quetscht, dann ist das für den betroffenen Song vielmehr Vergewaltigung als Segen. Und dem Konsumenten versagt diese gnadenlose aber omnipräsente Verbreiung die Chance, das wesentlichste Talent auszubilden, das nicht nur ein Künstler, sondern eigentlich jeder anständige Mensch besitzen sollte: das Unterscheidenkönnen von gut und böse.

Und die Sache wird auch keineswegs dadurch besser, dass man die widerwärtige best-of-the-80s- 90s-and-of-today-Melange durch irgendein anderes Format, etwa „Classic Rock“, ersetzt. Auch ein werbefinanzierter Best-of-Brit-Pop-Kanal wäre zwangsläufig zum Davonlaufen.

Zurück zur Ausgangsfrage: Wie also soll ein unter solchen Bedingungen heransozialisiertes Wesen (und Radio fungierte im letzten Absatz ja bloß paradigmatisch für die mediale Erscheinungsform von Musik/Musikersatz auf allen anderen Kanälen) im Alter von 20 oder 25 in der Lage sein, akkustische Perlen zu zaubern, die auch nur den Hauch einer Chance haben, tatsächlich publiziert zu werden, ohne ein absolut außergewöhnliches Genie zu sein?
And there you go. Der Hauptgrund für die frappierende Leblosigkeit und Flachheit des Großteils der heute veröffentlichten Popmusik, eben auch im immer noch so genannten Bereich „Independent-Kultur“, dünkt mir zu sein, dass den Kids einfach die Andock-/Anzapf-Möglichkeiten an wirklich Großes auf diesem Gebiet aus ihrer eigenen Kindheit/Jugend fehlen.
Wie gesagt, Kulturpessimismus ist eigentlich nicht mein Ding. Aber in diesem Fall scheinen mir die diesbezüglichen Protagonisten von vor zwanzig Jahren eine ziemlich realistische Zukunftssicht gehabt zu haben.

Vermutlich sollte man jetzt fan- und musikliebhabermäßig radikal auf elektronische Tanzmusik umschwenken. Denn in diesem Genre finden sich anno 2016 bestimmt massenhaft junge Künstler, die auf einen reichen und nicht bereits durch Massenmedien für immer besudelten Schatz an Vorarbeit zurückgreifen können, den auszuschlachten und weiterzuentwickeln eine wahre Freude sein muss.
Den letzten Gedanken äußerte ich hauptsächlich, um dem Beitrag noch eine irgendwie positive Wendung zu verleihen.
Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
Oder zumindest langsam.

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