So, es ist mal wieder an der Zeit für die Liste aller Listen.
Die Liste der besten Songs des Jahres.
Schon in den vergangenen Jahren tummelten sich in meinen Charts zunehmend Hochbetagte und Scheintote, aber so modrig wie heuer roch die Liste, glaube ich, noch nie.
Weshalb es auch vorerst die letzte ihrer Art in diesem Blog sein soll.
Offenbar bin auch ich endgültig in dem Alter angekommen, in dem einen junge neue Musik einfach nicht mehr ausreichend anspricht, mitnimmt und begeistert. In dem sich die musikalische Komfortzone des Gebrauchten, Getragenen und Abgewetzten irgendwie heimeliger anfühlt als die immer neuen, alten Teenagersorgen einer Musikergeneration, die längst meine eigenen Kinder sein könnten.
Schade, aber vermutlich unvermeidbar.
Doch modern Sie selbst mit:
(Ich liste wie üblich alphabetisch, werde aber anschließend besonders Wertvolles hervorheben. Für 4 Songs habe ich leider keine Links gefunden, Sie können diese aber bedenkenlos bei itunes einkaufen – ich gebe Ihnen eine Qualitätsgarantie…)

Courtney BarnettElevator Operator
BlurLonesome Street
The CharlatansCome Home Baby
Death Cab For CutieIngenue
The DecemberistsCarolina Low
EditorsNo Harm
Everything EverythingDistant Past
Gang Of FourThe Dying Rays
Albert Hammond Jr.Born Slippy
HerrenmagazinAlles So Bekannt
Tobias Jesso Jr.Can We Still Be Friends
The ProclaimersThrough Him
Public EnemyMan Plans God Laughs
Public Image Ltd.Shoom
Sleaford ModsLive Tonight
They Might Be GiantsErase
The WaterboysI Can See Elvis
Paul WellerGoing My Way
The WombatsEmoticons

Das sind 19 Songs aus 2015 und 9 oder 10 davon sind von Künstlern, die bereits vor 20 Jahren, einige sogar bereits vor 30 Jahren zu unseren Lieblingen gehörten. Und die meisten tun sich äußerst schwer damit, heute auch nur annähernd die Qualität von anno seinerzeit zu erreichen. Damit dürfte das oben Behauptete wohl ausreichend belegt sein.
Und jene Kandidaten, die auch noch in Frage gekommen wären, aber in der Quali leider gescheitert sind, wie etwa New Order, The Monochrome Set oder Fehlfarben, hätten den Namen „Hans-Modrow-Gedächtnisliste“ bloß noch mehr gerechtfertigt.

Anyway, die gelisteten Songs im einzelnen:

Courtney BarnettElevator Operator:
Eigentlich hätte sie ja schon letztes Jahr in die Liste gehört. Aber damals hörte ich ihren tollen Song Avant Gardener leider erst spät im Dezember, als die Liste sozusagen schon unter Dach und Fach war. 2015 gab es ein neues Album namens Sometimes I Sit And Think And Sometimes I Just Sit. Und das ist beinahe durchweg großartig. Tolle Stimme, tolle Texte, tolle unprätentiöse Musik. „All I ever wanted to be was an elevator operator.“ Tolle Frau! Aus Tralien.

BlurLonesome Street:
Das Blur-Album war eine saftige Enttäuschung. Um so trauriger, wenn man hört, wie sie auf diesem einen Track noch einmal alles goldrichtig machen, und 20 Jahre nach Parklife beinahe mehr nach sich selbst klingen als jemals zuvor. Ein Kracher.

The CharlatansCome Home Baby:
Auf dem feinen Album der Manchester-Rave-Veteranen die herausragende Single. Hier wird natürlich keineswegs das Rad neu erfunden, sondern vielmehr ein abgestandener Tee zum zigsten Male aufgebrüht. Aber es ist nun mal der beste Tee von allen.
Darling Darjeeling. Earl in Eyhren ergreyt.
Genau so sollte Popmusik sein. Genau so und nicht anders. I like.

Death Cab For CutieIngenue:
Erinnert mich irgendwie an Madness von Muse, wenngleich wir uns hier natürlich auf einer ganz anderen Baustelle befinden. Offenbar habe ich ein Faible für repetitive la-la-la-la- oder ma-ma-ma-ma-Backgroundchöre.
„The currency of being 23.“ Nice.
Supersongtitel auch – Ingenue.

The DecemberistsCarolina Low:
Das ist genau die Art von Ballade, die sie in England einfach nicht hinkriegen. Vermutlich muss man für sowas wahlweise aus dem Sauerland oder aus den Appalachen kommen. Stoppok kann solche Songs. Und Yankees haben’s offenbar im Blut. Mittelgebirgsmusik für verschneite Winterabende.

EditorsNo Harm:
Eigentlich ein okayer Song. Allerdings stört mich hier diese aus dem Hip-Hop übernommene, zeitgemäße Produktionsunsitte, dass die tiefen Bässe immer viel zu laut gemischt sind. Woran liegt das? Auf HiFi-Anlagen klingt sowas scheiße. Produziert man heutzutage für die naturgemäß komplett bassfreien „Lautsprecher“ von Smartphones? Ich dachte, wir hätten die Zeiten des Volksempfängers überwunden.

Everything EverythingDistant Past:
Vielleicht die Nummer des Jahres. Das ist wirklich geil! Hoher cw-Wert und ziemlich kauzig, aber doch extrem poppig und tanzbar. Haut mich vom Hocker.
Autsch! Aah!
Äh, tschuldigung.
(gruschpel, gruschpel)
Muss mich erstma sortieren.

Puh!
Sorry, war gerade vom Hocker gefallen.

Gang Of FourThe Dying Rays:
Dass sich ausgerechnet die Post-Punk-Ikonen von Gang Of Four mit der gleichermaßen wurmstichigen wie vokallosen Deutschrock-Heulboje Herbert Grönemeyer zusammentun, und dass letzterer dann auch noch einen überaus respektablen Vocaltrack abliefert – das hat schon was Herzzereißendes. Wahrscheinlich ist er halt doch ein Guter.
Fl’gz’ge ’n m’nem B’ch.

Albert Hammond Jr.Born Slippy:
Erster „Jr.“ von zweien in der Liste. Hat im Strokes-Tourbus eine Menge Foals gehört, und macht das beste daraus. Besser als die neueren Foals-Alben. Und erstaunlich unamerikanisch. Incl. lobenswertem Popzitat-Wortspiel im Songtitel.

HerrenmagazinAlles So Bekannt:
Bestes deutschsprachiges Album aus 2015. Die Hamburger Band mit dem leider bescheuerten Namen gehört zu den wenigen wirklich neuen Sachen aus dem vergangenen Jahr, die mich begeistert haben. Mindestens ein weiterer Song (Gärten) vom Album hätte es problemlos in diese Liste geschafft, wenn Doppelnominierungen erlaubt wären.

Tobias Jesso Jr.Can We Still Be Friends:
30-jähriger kanadischer Songwriter schreibt eine Hommage an Sir Paul McCartney.
Hommage?
Vielmehr ein Denkmal, ein Memorial, ein Monument!
Das ist echt krass. Nicht nur, dass die Musik 100% McCartney ist, er hat auch noch beinahe die gleiche Stimme! Da können die Rutles einpacken.

The ProclaimersThrough Him:
Der Fröhling schämt sich auch für nichts? Na ja, jedenfalls nicht dafür. Natürlich niemandens Lieblingsband. Aber das hier ist lupenreiner Britpop. Zwar abgehangen, aber vom allerfeinsten.
Tierkreiszeichen Zwilling.

Public EnemyMan Plans God Laughs:
Warum die Vorzeige-Black-Power-Fighter von einstmals auf ihrem ernüchternd müden Revival-Album aus 2015 ausgerechnet beim mit Abstand besten Song nach ca. zwei Minuten kurzerhand abbrechen, wird ein Rätsel bleiben. Davon hätte man gern noch ein bißchen mehr gehört. Das auf dem Album ebenfalls zu findende Stones-Cover Honky Talk Rules ist hingegen nahe an „fürchterlich“. Fast so fürchterlich wie das Original.

Public Image Ltd.Shoom:
„What the world needs now is another Fuck Off!“ behauptet Johnny Rotten.
„All sex is bollocks!“
Und, naja, wenn der das sagt…
Ist dann bestimmt was ungeheuer politisches, so straßenmäßig jedenfalls. Und altklug obendrein.
Oder vielleicht auch nur ’ne neue Butterwerbung.
Eigentlich ist es bloß ziemlich mittel. Normalerweise würde man dankend abwinken. Aber ist halt der verschrobene Sex-Pistols-Onkel. Der darf sowas, oder?

Sleaford ModsLive Tonight:
Schwer gehypet und live auch irgendwie ganz amüsant, sind die zwei Stinkefinger-Prekarier aus Nottingham in Albumlänge leider doch nur ein halbgares Surrogat für The-Streets-Fans auf Entzug.
Anyway, we love this language, don’t we?

They Might Be GiantsErase:
Wären die Giants nicht olle Kamellen sondern zwanzigjährige Newcomer, dann wäre dieser Song wahrscheinlich die Indie-Sensation des Jahres geworden. Sindse aber nicht. Und daher hat’s vermutlich kaum einer überhaupt registriert. Umso dringender gehören sie in diese Liste. Denn das ist echt verdammt gut.

The WaterboysI Can See Elvis:
Kenntnis der Waterboys verhalf unserem Pub-Quiz-Team dieses Jahr in Oxford zu einem historischen Sieg in der Musikrunde. The Germans did it! Umso lustiger, dass diese nicht ganz zu unrecht vergessen geglaubte Band dann kurze Zeit später ein neues Album veröffentlichte. Mit erwartungsgemäß mittelmäßigem Ertrag. Ungefähr so spannend wie ein neues BAP-Album. In Memoriam des legendären Pub-Quiz-Triumphs schaffte es aber dieser immerhin ganz nette Song dann doch in die Jahresendabrechnung.

Paul WellerGoing My Way:
Tja, ach, Paul Weller, was soll man sagen?
The Jam waren eine der besten Bands der gesamten Popgeschichte.
Style Council haben wir ihm verziehen, war ja teilweise auch wirklich okaye Tanzmusik.
Und seine Solosachen haben wir geduldet. Dulden wir bis heute. Müssen ja.
Widerwillig, enttäuscht, manchmal auch genervt.
Aber er ist und bleibt halt „The Modfather“.
Auch das gefühlt 347ste Soloalbum aus 2015 ist kein großer Wurf. Aber besser als viele zuvor. Mit mindestens drei guten Songs. Einer davon ist Going My Way.

The WombatsEmoticons
Eine der großartigen Britpopbands der Nullerjahre. Neues, drittes Album mit schönem Titel: Glitterbug. Und, nun ja, sie sind halbwegs in Würde erwachsen geworden. Das bedeutet, positiv gesehen, keine verzweifelten Versuche, die guten alten Geister nochmal heraufzubeschwören. Negativ gesehen ist es jetzt eigentlich ziemlich langweilig geworden. Mit den oben schon beklagten Soundnarreteien anno 2015: zugekleistert mit harzigen, viel zu lauten Keyboards und diesem nervigen HipHop-Tiefbass.
This Is Not A Party wäre vermutlich ein toller Dancefloor-Füller in der Britpop-Disco meiner Wahl geworden – aber die gibt es ja nicht mehr… Das meiste ist run-of-the-mill und am besten klappt es noch auf dem Opener Emoticons.

Noch was vergessen?

Wanda vielleicht?
Bussi Baby ist das Lieblingslied meiner vierjährigen Tochter.
Und Tante Ceccarelli sitzt meilenweit entfernt in Bologna und kann nicht helfen.

Noel Gallagher’s High Flying Birds?
Der Bonbon ist wohl ein für alle Mal gelutscht.

Cold War Kids? Metric?
Irgendwo zwischen Platz 20 und 30.

Ash?
Das größte Trauerspiel. Im Comeback-Jahr 2001 sind wir noch mit ihnen barfuß durch einen ganzen Sommer gelaufen. Hand in Hand mit Charlotte Hatherley auf der Suche nach dem Shining Light.
Und jetzt? Nur noch ein ganz müder Abklatsch (und längst wieder ohne Charlotte).
Kablammo! ist eigentlich ja noch ein recht vielversprechender Albumtitel. Doch, ach:
Woolworth-Punkrock von der Stange für Kids, die längst Ü-40 sind.  Von ebensoalten Ex-Stars, die immer noch nicht singen oder ihre Instrumente überzeugend spielen können. Am ehesten funktioniert noch das Ballädchen. But the rest? A shame.

Blitzen Trapper?
Wer? Platzen Tripper?
Blitzen Trapper.
Alt-Country aus Portland.
Love Grow Cold heißt der Song aus 2015, der es beinahe in die Liste geschafft hätte. Beinahe.

Bleibt nur die Hoffnung auf die Jahrescharts meiner Freunde.
Meistens finden sich dort noch eine Menge Perlen, von deren Existenz ich heute noch gar nichts weiß. Ich werde Sie auf dem Laufenden halten.

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