Etwa vor einem Jahr kam der Joy Division Film von Anthony Corbijn in die Kinos, und Musik-Nerds, insbesondere popkulturelle Kinder der Manchester-Rave-Area wie ich, sind natürlich hingerannt und haben sich den Sims angeschaut. Und obschon ich den betreffenden Abend aus privaten Gründen in sehr schöner Erinnerung halte, muss man doch leider sagen, dass – Herrn Corbijns womöglich wertzuschätzendes iconographisches Talent beiseite – der Film ein ziemlicher, melodramatischer Bockmist war. Sagen wir es unverblümt: It was shite!

Das Problem des Films ist, dass er um die falsche Person zentriert wurde. Die Lebensgeschichte sowie die emotionalen Befindlichkeiten des Herrn Curtis sind leider trotz seiner schlimmen Krankheit allzu banal, und insbesondere nicht besonders bewundernswert, für bewegendes Kino. Insofern hat der Film zwar erfolgreich ein Denkmal demontiert, aber die meisten von uns hätten vermutlich problemlos ohne diese ernüchternde Einsicht weitergelebt.
Viel viel schöner, amüsanter, informativer und nachgerade sensationeller ist da dann doch die, äh, Dokumentation der gleichen Geschichte in dem Film 24 Hour Party People aus dem Jahre 2002, den ich zugegebenermaßen erst vor einigen Tagen dank der Empfehlung eines wundervollen Menschen erstmals gesehen habe.
Nicht nur, dass dort der thematische Horizont auf das eigentlich viel essentiellere Gesamtphänomen Manchester-Rave inclusive der Geburt von Aciiid u.ä. erweitert wird.
Nein, vor allem stellt dieser Film einen weitaus wichtigeren, interessanteren, klügeren, und im musikhistorischen Sinne gleichsam epochemachenden Charakter in den Mittelpunkt, nämlich Tony Wilson.
Wilson war ein Fernseh-Musikjournalist, der Gründer von Factory-Records und spätere Chef der „Hacienda“ in Manchester, dem ersten Rave-Club der Welt. Aber vor allem war Wilson ein leidenschaftlicher Musikliebhaber, der z.B. ofterzählterweise, Jahre bevor Manic Street Preachers Gitarrist R. J. Edwards sich vor den Augen eines anderen Musikjournalisten „For Real“ mit einem Messer in den Unterarm ritzte, seinen ersten Plattenvertrag mit Joy Division (in dem er mehr oder weniger alle Rechte an die Band verschenkte) mit seinem eigenen Blut unterzeichnete.
Weil eine derartige Geste eben mehr Wert und Wucht hat, als alles Gold und Geld dieser Welt.
Und es nie wirklich bedauert hat.
Denn so geht Hollywood!

Der Film zeigt alles: Die erneut nicht wirklich sympathisch rüberkommende Verschrobenheit von Ian Curtis, die schier unfassbare Tumbheit der Happy Mondays (siehe dazu in diesem Blog auch immer wieder lehrreich hier), den trotz Drogenexzess-Umfeld nicht zu exkommunizierenden intellektuellen Dünkel Wilsons
(„Haven’t you ever heard of postmodernism?“,
„How many people were at the last supper? Twelve!“,
„I’m the big guy. I’m metaphorically speaking“,
„Haha, fuckin‘ Barrabas!!“),
den körperlichen und geistigen Verfall eines Genussmittelopfers wie dem Produzenten Martin Hannett
und die schiere Tatsache, dass die Top-Girls eben trotzdem all diese Idioten anhimmeln, so lange letztere einfach nur zum vermeintlich coolen Pop- und Nightlife-Establishment gehören.

Schauen Sie sich hier eine amüsante Sequenz zum Thema „Martin Hannett produziert Joy Division“ an, lauschen Sie hier einem Zusammenschnitt einiger netter „Tony Wilson: the person“ Szenen,
und vergewissern Sie sich zuletzt hier, dass der wahre Tony Wilson natürlich nicht ganz so smart und gutaussehend war, wie sein Film-Darsteller Steve Coogan.

Ein sehr, sehr empfehlenswerter und pophistorisch ungemein aufklärender Film. Und wenn Sie, wie ich hoffnungsfroh annehme, zu einer etwas jüngeren Generation gehören, dann wissen Sie danach wenigstens, in welchem Kontext unsereins das geworden ist, was er ist.
„Daddy, who were The Stone Roses?“, titelte die FACE irgendwann Ausgang des letzten Jahrtausends.
„Well, here’s part of the answer.“, können Sie künftig mit Verweis auf 24 Hour Party People kontern (auch wenn die Roses keine Factory-Band waren).

„I got one hand in my pocket
and the other one is ironing a Smiley-T-Shirt.“
(frei nach Alannis Morisette)

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