Tja, warum wohl steht das 2020 in der Überschrift in „Gänsefüsschen“?
(Warum Gänsefüsschen im vorangegangenen Satz in ebensolchen steht, muss ich hoffentlich nicht erläutern…)
Also: Da ich in 2020 so gut wie keine neuen Songs gehört habe, kann ich auch keine Jahresbestenliste erstellen. Total aural lockdown.
Das einzige, was ich fast täglich hörte, war der Hintergrundsoundtrack zu diversen Pamela Reif Videos. (Ja, ich habe versucht, alle Lockdown-Klischees so gut wie möglich zu erfüllen.) Die dort verwendete „Musik“ ist, wie Sie sich vorstellen können, selten nördlich der Kotzgrenze – insofern war 2020 für mich auch ein Jahr der ästhetischen Abhärtung.

Schauen wir doch stattdessen ein wenig zurück.
Für echte Streber geht ja ein Jahrzehnt vom Jahr 01 bis zum Jahr 10 und vom Jahr 11 bis zum Jahr 20 usw.
Ergo gehen die Zehnerjahre gerade jetzt erst zu Ende – idealer Zeitpunkt für eine Rückschau.
Da ja in jedem der Jahre Jahrescharts erstellt wurden, die zumeist aus 20 Songs bestanden, kennen Sie die 200 besten Songs theoretisch bereits.
Aber das stimmt so natürlich nicht. In den Jahrescharts taucht jeder Interpret traditionellerweise nur ein Mal auf. Oft gibt es aber Alben mit drei, vier echten Krachern, die deutlich besser sind als Dreiviertel der durch die Jahrescharts geadelten.
Und außerdem lerne ich natürlich viele tolle Sachen immer erst kennen, wenn das Jahr schon vorbei ist, nicht zuletzt dank der vielen Listen und CDs unter anderem ja auch von einigen Bloglesern. Und so kam es zu einer Zehner-Jahre-Rückblicksliste. Mehr Songs von den Topalben der jeweiligen Jahre und vieles, was in den Jahrescharts wegen Unwissenheit meinerseits gar keine Erwähnung fand.

Jedoch: Vorab möchte ich noch gerne die drei Bands des Jahrzehnts aus meiner Sicht küren:
The Lumineers, Half Moon Run und Bloc Party.


The Lumineers

Dass dieses unprätentiöse Folk-Trio aus Denver/Colorado anno 2012 mit dem Jahrmarktsliedchen Hey Ho einen Welthit landete, war zwar ein Husarenstreich sondersgleichen, aber, in Anbetracht des dazugehörigen, ja durchaus großartigen, Debütalbums auch äußerst unheilschwanger.
Dass sie nach diesem sicherlich niemals geplanten, ja womöglich noch nicht mal wirklich erwünschten Schockerlebnis (auch ein positives Erlebnis kann ein Schock sein) nicht komplett entgleisten, sondern, im Gegenteil, dann 2016 mit Cleopatra ein echtes Meisterwerk nachlegten, ist das wahre Wunder.
Aber sie hatten von Anfang an alles, was es wirklich braucht: die Songs, die Lyrics und die Stimme.
Und so sind sie, auch dank des dritten Longplayers III inzwischen tatsächlich etwas geworden, was ihnen zu Hey-Ho-Zeiten vermutlich niemand jemals zugetraut hätte: eine tolle und überaus ernst zu nehmende Band. Chapeau.


Half Moon Run
From Montreal/Quebec. Gibt es ja heutzutage fast nicht mehr: eine Band, die sich nach hoffnungsvollem Beginn tatsächlich von Album zu Album steigert. Dark Eyes (2012) war ein zwar „nur“ okayes jedoch nie langweiliges Indie-Pop Debüt, und die beiden Nachfolger Sun Leads Me On (2016) und A Blemish In The Great Light (2019) sind hervorragend.
Noch so einer der ganz selten gewordenen Acts, bei denen es sich lohnt, Alben in kompletter Länge zu hören.
Weil sie abwechslungsreich, überraschend, manchmal eingängig aber nie platt sind, und offenbar mühelos Einflüsse aus fünf Jahrzehnten Popkultur mal vermengen, mal nebeneinanderstellen und dabei trotzdem immer sehr nach 10er-Jahre klingen. Was ja allzuoft nichts Gutes verheißt. Hier schon. I like.


Bloc Party

Überraschenderweise die eine Band aus der großen Britpop-Welle der Nullerjahre, die sich am überzeugendsten durch ihr zweites Bandjahrzehnt gemogelt haben. Während sich z.B. die Kaiser Chiefs erstaunlich rasant in die musikalische Irrelevanz der Mainstream-TV-Welt verabschiedet haben, sind Kele und Mitstreiter sich selbst trotz Besetzungswechseln treu geblieben, was in diesem Fall heißt: äußerst experimentierfreudig, innovativ, schräg bis hin zu lärmig. Was dann oft auch in die Hose geht, aber eben manchmal pures Gold erzeugt.
Dass sie zusätzlich, und sozusagen als Kontrapunkt, auch ganz konventionelle Radiopopsongs schreiben können, rundet die Sache aufs angenehmste ab. Kele wird mit Sicherheit nicht als großer Popliterat in die Musikgeschichte eingehen, aber Schwamm drüber. Die Vibes stimmen. Auch nach 20 Jahren Bandkarriere noch.

Im nächsten Beitrag werde ich Ihnen dann eine erste Auswahl von Songs aus den 10er-Jahren präsentieren, die man kennen sollte, und die in den Jahrescharts hier im Blog bislang nicht aufgetaucht sind.

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