Am Königshof der britischen Popmusik sind die Rollen ja ungefähr wie folgt verteilt:
„Sir“ Paul McCartney fungiert als Queen Mom,
Freddie Mercury war Princess Margaret,
Lee Mavers ist der verlorene Sohn und Thronfolger der Herzen,
Paul Weller ist Disraeli,
Morrissey ist Thatcher,
die Stone Roses und die Brüder Gallagher sind der debile aber mächtige Landadel,
und Bono der Bischof von Canterbury.

Madness waren in diesem Szenario seit jeher die Hofnarren.
Das ist zwar ein wenig ungerecht, denn die jugendlichen Rabaukenposen hatten sie ja recht schnell zu Gunsten traditioneller, wunderbar-versöhnlicher Popmusik ad acta gelegt (und der Welt en passant 1984 mit Michael Caine einen der schönsten Popsongs aller Zeiten geschenkt). Doch vom Nutty-Boys-Image ließ es sich halt zwei Dekaden lang auch ganz prima leben.
Dank der Olympischen Spiele hat man sie 2012 dann doch noch in das House Of Lords befördert, wo sie nun gleichberechtigt mit den anderen Alten und Erlesenen inkontinent werden dürfen.
Wie um den eigenen verspäteten Aufstieg bewusst zu torpedieren, lieferten sie auch gleich noch ein neues Album ab: Oui Oui, Si Si, Ja Ja, Da Da.
Nun, während Madness sich 1999 mit Wonderful, Nomen war Omen, noch eine würdige Comeback-Statue aufstellten, klang schon das 2009er Zuspätwerk The Liberty Of Norton Folgate ein wenig zu sehr wie eine in Ehren ergraute Hoteltanzkapelle in Waikiki-Beach. Aber seinerzeit war es wenigstens noch das Grand Hotel.
Jetzt in 2012 sind sie in einer drittklassigen Kaschemme einer Seitenstraße gelandet und man fragt sich ernsthaft, ob es wirklich noch Madness sind, die hier musizieren, oder ob nicht doch vielleicht Neil Innes seine Hände im Spiel hat.
Soll heißen: auf dem neuen Album klingen sie größtenteils nurmehr wie eine bräsige, wenn nicht gar abgehalfterte Parodie ihrerselbst.
Der Song How Can I Tell You?, der es in meine 2012er Liste schaffte, ist leider die einzige, halbwegs funkelnde Perle auf einem ansonsten erstaunlich lahmen Album, von dem man sich eigentlich wünschte, es wäre nicht erschienen.
Denn man mag sie doch so sehr.
Aber was haben Suggs und Gefolge auch im House Of Lords verloren?
Sie gehören schließlich in unser Haus.
In der Mitte unserer Straße.

Lawrence Hayward ist einer dieser unverwüstlichen, oder vielleicht treffender: unverbesserlichen Rock’n’Roll-Typen.
Seit über 30 Jahren hinterlässt er eifrig Spuren in der Pophistorie, ohne dass auch nur irgendjemand Lust verspürte, diesen nachzugehen. Lange Jahre tat er das mit der Formation Felt – die kann man kennen, muss man aber nicht.
Und auch mit seinem aktuellen Bandprojekt Go Kart Mozart wird sich sein Bekanntheitsgrad vermutlich nicht nachhaltig erhöhen. Das 2012er-Album On The Hot Dog Streets können sie getrost den Hasen geben, aber immerhin ist ihm das Kunststück gelungen mit Retro-Glancing genau den wundervollen New Order-Song zu schreiben, auf den man bei Herrn Sumner und Konsorten ungefähr seit Bizarre Love Triangle vergeblich wartet.

Und eine letzte Leuchtboje auf einem ansonsten vernachlässigbaren Album sei Ihnen auch nicht vorenthalten: Benjamin Gibbard ist hauptberuflich Kopf und Obernerd der Ami-Indie-Kapelle Death Cab For Cutie. In seiner Freizeit macht er Soloalben, die niemand wirklich braucht, aber auf dem 2012er Release Former Lives befindet sich die Traumnummer Teardrop Windows. Dieser Song ist eine offenkundige Huldigung von Lenins Lieblingsband Teenage Fanclub, denn diese fungieren hier nicht etwa nur als Inspiration, sondern sie werden originalgetreu kopiert. Die Ähnlichkeit ist derart frappierend, dass es sich keinesfalls um Zufall handeln kann, sondern um ein völlig bewusst gesetztes Denkmal. Und dafür sei Herrn Gibbard meine aufrichtigste Ehrerbietung angedient.
Und wer bei Death Cab For Cutie stets zuerst an Brille, Bart, selbstgestrickte Pullis und Burgerbauch denkt, der wird im Video gleich noch auf angenehm selbstironische Weise eines besseren belehrt.

Damit möchte ich den diesjährigen Musikrückblick schließen.
Ist ja inzwischen auch 2013.
Nach dem Jahresrückblick ist vor dem Jahresrückblick.
Bleiben Sie dran!
Ihnen ein frohes neues Jahr.

Admin