Yippieh! Die goldene Weihnachtszeit und der Jahreswechsel stehen an. Mit anderen Worten, es ist höchste Zeit, eine ausführliche Bilanz des Musikjahres 2008 zu ziehen, was ich folgerichtig in den nächsten Tagen hier raumgreifend zu tun gedenke. Dafür werde ich schließlich bezahlt.

Beginnen wir mit den vermeintlich besten Songs aus 2008
Und befragen diesbezüglich zunächst, wie in diesem Blog üblich, die Q, welche eine solche Liste natürlich bereits in der letzten Ausgabe präsentierte.
Die zehn Songs des Jahres gemäß Q:

Chasing Pavements – Adele (für Nicht-Eingeweihte: das vordere ist der Songtitel und das hintere die Interpretin – auch wenn’s in diesem Fall andersrum fast schöner wäre…)
Violet Hill – Coldplay
Mercy – Duffy
One Day Like This – Elbow
American Boy – Estelle (auch hier gilt die oben gegebene Hilfe für Eingeweide, äh, dings)
Daddy’s Gone – Glasvegas
I Kissed A Girl – Katy Perry
Sex On Fire – Kings Of Leon
That’s Not My Name – The Ting Tings
Time To Pretend – MGMT

Nun, was einem spontan auffällt, ist die starke Hitparaden/Verkaufszahlen-Orientierung dieser Auswahl. Das macht einerseits Sinn, denn echte Hits sind naheliegenderweise auch oft sehr gelungene Songs. In diesem Sinne also Ehre, wem Ehre gebührt – schließlich spielt niemand ernsthaft mit dem Gedanken, sich eine ganze Ting Tings CD am Stück anzuhören, aber jeder mag diesen einen Song. Zumindest beim allerersten Hören…
Aber andererseits ist es eben leider doch in allererster Linie ein Zeichen dafür, dass auch die beste Musikzeitschrift der Welt, wie alle Printmedien, mit sinkenden Verkaufszahlen zu kämpfen hat, und von daher allzu geneigt ist, immer mehr Mainstream-Musik in den Fokus zu nehmen. Was einen faden Nachgeschmack hinterlässt.
Machen wir es also bei all den eigentlich uninteressanten Vorschlägen einfach kurz:

Estelle?
Keine Ahnung. Nette Tanznummer, aber R und B gehören nicht in diesen Blog, falls das überhaupt R und B ist. Und Kanye West (rapt hier mit) interessiert mich auch nicht (noch nicht einmal, wie man seinen Namen denn eigentlich ausspricht).

Katy Perry?
Ein ganz armseliger und krampfhafter Produzentenversuch, der Welt ein neues Can’t get you out of my mind anzudrehen. Bloß dass der Song es halt nicht hergibt. Und Katy mitnichten Kylie ist. Und der Text, mannomann.
„I hope my boyfriend don’t mind it“ – mir wird schlecht.

Adele? Duffy?
Irgendwie so next-generation Amy Winehouses. Man muss ja nicht alles verstehen, was die Engländer medial bewegt. Ist jedenfalls auch nicht meine Teetasse. Wenngleich beide natürlich über außergewöhnliche Stimmchen verfügen. Aber Stand by me hat mir schon im Original nichts bedeutet…

Bleiben die sechs anderen Vorschläge, und da fallen wenigstens die Interpreten in meinen Kompetenzbereich.

The Ting Tings?
Siehe oben. Beim ersten Hören (Anfang des Jahres) war man von den Socken. Bei jedem weiteren Hören, befiel einen zunehmend das Gefühl, dass das ganze eben doch ein bißchen substanzlos ist. Und jetzt, wo die Nummer sich endlich ins Standardrepertoire der örtlichen Britpop-Sausen gemogelt hat, nervt sie fast schon ein wenig.

Coldplay?
Als Coldplay vor Jahren, anders als ein privater Stromanbieter, mit Yellow durchbrachen, machten irgendwie gerade alle Bands so komische, schwülstige, Breitbandmusik mit bittersüßen Melodien und Überdruck auf der Pathosdrüse. Travis, Snow Patrol, Embrace, selbst die Manic Street Preachers waren gerade in ihrer If-You-Tolerate-This-Then-Your-Children-Will-Be-Next-Phase.
Zum Glück kamen dann 2004/2005 Franz Ferdinand, Arctic Monkeys, Bloc Party, Kaiser Chiefs usw. um diesen klotzigen Palast des Wohlstands-Schlagers vorerst unwiderruflich zu sprengen.
Coldplay sind die einzigen Überlebenden. Darf man die nun mögen oder muss man sie verabscheuen?
Ich bin mir selbst nie so ganz sicher. Einerseits mag ich sie, weil sie trotz tabloid-affinem Sänger eben doch „just a band“ (Sroobius Pip) sind, und weil Chris Martin, nachdem ihm Brian Eno ein wenig das ewige Rumfalsettieren abgewöhnt hat, sich so langsam zur sympathischeren (und definitiv besser aussehenden) Version von Thom Yorke mausert (a strange man with even stranger clothes). Aber andererseits ist halt doch alles immer noch eine Nummer zu glattpoliert und omagerecht.
Speed of Sound bleibt der einzige zeitlos schöne Song, den sie der Welt bis dato beschert haben, und das ist für eine Band, die Tausende, bzw. Millionen, ach was: Dutzende von Platten verkauft eigentlich doch zu wenig.
Coldplay sind übrigens eine der ganz ganz wenigen aktuellen britischen Bands, die auch in Amerika jeder kennt. Ob das für oder gegen sie spricht, sei dahingestellt.

Elbow?
Wo wir gerade von Wohlstands-Schlagern sprachen. Ein wundervoller Song um die großartigen Tage des Lebens zu zelebrieren.
Dummerweise ist das Video ein bißchen merkwürdig und mag nicht so recht zur Musik passen.
Übrigens: Meine persönliche Lieblings-heuteisteinschönertag-Hymne ist seit jeher D-Major Day von Readymade. Aber das nur nebenbei.

Glasvegas?
Wenn wir mal von dem äußerste Schmerztoleranz voraussetzenden Wortspiel im Bandnamen absehen, könnte man die eigentlich mögen. Ich habe als die-hard-Teenage-Fanclub-Fan ohnehin eine angeborene Schwäche für schottische Kapellen. Jedoch: Man könnte sie allenfalls mögen, wenn man sie in aller Ruhe, so als kleines Juwel in irgendeiner verstaubten Ecke des Internets oder einem verrauchten Pub-Hinterzimmer in Südwales für sich selbst entdeckt hätte.
Stattdessen aber werden Glasvegas gehyped (und auch gekauft) als wären sie die musikalische Entdeckung des Jahres, und damit sind sie hochgradig und hoffnungslos überbewertet. Ich unke gar: in einem aufregenderen Musikjahr als 2008 es war, wären die schlicht untergegangen.

Bleiben last but not least, und wo wir gerade beim Stichwort „überbewertet“ waren, die

Kings of Leon?
Ich darf hier nicht zu viel, und insbesondere nicht zu viel Falsches schreiben, sonst bekomme ich wohl ernsthaft Ärger mit meiner Blognachbarin, aber auch hier muss ich leider nörgeln. War mal eine tolle Band. Klangen sogar manchmal sehr britisch (z.B.: My Party). Nicht umsonst sind sie auf der Insel inzwischen Stars und in der Heimat immer noch schwer am kämpfen. Aber in schlechten Momenten erinnern sie mich inzwischen an eine der furchtbarsten und amerikanischsten aller furchtbaren amerikanischen Bands, nämlich an Pearl Jam.
Ok, ok, Caleb Followill hat nun wahrlich nicht diese Gießkannenstimme, aber Sex on Fire ist allenfalls mittelmäßiger Ami-Stadion-Rock, und da hör ich mir tatsächlich lieber Springsteen an.
Andererseits, Hand aufs Herz, ist diese Band ja nicht wegen ihrer Musik berühmt und insbesondere beim Weibsvolk so beliebt geworden.
Sondern wegen ihrer Schuhe!!

Was vergessen? Ach ja.

MGMT
Dass diesem Song wenigstens die Aufnahme in die Jahres-Top-Ten einer, äh, rennomierten Musikpostille vergönnt war, verschafft mir, wie sie sich als treuer Blogleser denken können, dann abschließend doch ein wenig Genugtuung. Schließlich habe ich ihnen ja Anfang des Jahres nichts vom Pferd erzählen wollen. Ich hatte es durchaus ernst gemeint.

Soweit die Rückschau auf das, was sich in England gut verkauft hat. Im nächsten Artikel reden wir dann mehr über das, was sich auch wirklich gut anhört.

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