Okr? Okr?“,
fragte mich die cirka sechzehnjährige Dame cirka russischer Provenienz mit hilfesuchendem, ja beinahe flehendem Blick beim Betreten der S-Bahn an der Berliner Friedrichstraße.
„Will die betteln, oder braucht die Hilfe?“, fragte ich mich im Stillen und rang nach einer Idee, was sie denn womöglich meinen könnte.
Okr? Okr?“,
erklang es erneut, und vermutlich hatte auch ich inzwischen eine gehörige Portion Hilflosigkeit im Blick.
Okraschoten? Unwahrscheinlich.
Okriftel? Ebenso.
„Ja, zum Ostkreuz. Immer rinn, is de rischdije.“, beschied die ältere einheimische Dame neben mir sachlich, und die Touristin stieg erleichtert ein.

Nun, zugegeben, die Hilfesuchende war in diesem Fall tatsächlich so etwas wie die fleischgewordene Inkarnation des Begriffs, also sie war von Kopf bis Fuß „Ostkreuz“ pur.
Dennoch fühlte ich mich alt und begriffsstutzig, und musste an eine sehr vergleichbare Situation denken, die mir vor vielen vielen Jahren auf dem S-Bahnsteig der Frankfurter Hauptwache widerfuhr. Eine ältere, balkanisch anmutende Frau deutete seinerzeit auf die einfahrende S-Bahn und fragte mich nachdrücklich:
Bahama? Bahama?“
„Nein, gnädige Frau, dieser Zug fährt nicht auf die Bahamas.“, hatte ich mir gerade als schelmische Replik zurechtgelegt, während aber schon der Anzugträger hinter mir mit einem freundlichen
„Ja, die fährt nach Bad Homburg.“ zur Stelle war.

Und damals wie neulich in Berlin beschäftigte mich ernsthaft die Frage, warum nicht auch ich mit derart verblüffenden Dr.-Doolittle-Fähigkeiten gesegnet bin.
Dass ich Ratsuchenden beispielsweise auf die Anfrage „Hatsi? Hatsi?“ nicht etwa „Gesundheit“ wünsche, sondern mit einem konzisen „Ja, die fährt nach Hattersheim.“ beistehen kann.

Aber, hat man das Pattern erst ein Mal durchschaut, ist es eigentlich gar nicht mehr so schwer.
Rigola? Rigola?“, ist also nicht etwa die dringende Bitte um einen Hustenbonbon, sondern die Frage, ob der bereitstehende Zug nach Riedstadt-Goddelau fährt.
Uzi! Uzi!“, kein warnender Hinweis auf einen bevorstehenden Terrorakt, sondern ein osteuropäischer Reisender mit Fahrtziel Usingen.
Und siehe da, wie immer bei Fremdsprachen: ist man erstmal ein bißchen drin im Sprachspiel, fängt es an, richtig Spaß zu machen!

Kanister? Kanister?“
„Ja, der hält in Kranichstein.

Döner? Döner?“
„Nein, Dörnigheim hat leider keinen Bahnhof. Ich empfehle ein Taxi.“

Letzteres bitte nicht zu verwechseln mit der sehr ähnlichen Frage des amerikanischen Messebesuchers:
Doughnut? Doughnut?“
„Nein, zur Deutschen Nationalbibliothek müssen Sie auf den Bahnsteig gegenüber.“

Liebe? Liebe?“
„Gern, steige auch am Lindenbaum aus.“

Mützglatz? Asiloch?“
„Ja, der fährt nach Wixhausen – über Offenbach.“

usw.

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