Der Autor hat heute Geburtstag. Einen „runden“ – und wer mich kennt, weiß, dass es nicht der zwanzigste ist. Dazu muss man ja als Dichter geradezu was aus dem Ärmel schütteln resp. was raushauen. Nun, so soll es sein, wenngleich ich angesichts des nun angebrochenen Lebensjahrzehnts eigentlich hauptsächlich eine fürchterliche Leere empfinde.

Stimmen wir uns am besten mit ein bißchen Musik aufs Thema ein: New End Original heißt die Band, die den definitiven Geburtstagssong geschrieben hat, nämlich 14 – 41.

„14 – 41
Start blind, end up dumb
You’re 16, you’re 23, you’re 32, you’re 41.
(…)
I’m waiting for the bell to ring
I’m always older
Pressures and folds of fat and lipstick-stained calendars
all hide under a marriage porcelain that I’m falling over
My birthday, my birthday
is my worst day.
14 – 41
start blind, end up dumb
You’re all those things and then you’re none.
You’re through a life you‘ve just begun.“

Interessanterweise war es ein Fußballtrainer, ich glaube Lucien Favre, der neulich in einem Interview die Essenz des Älterwerdens prägnant auf den Punkt brachte. Gefragt, ob ihm denn seine langjährige Erfahrung im „Geschäft“ sehr hilfreich sei, antwortete er: „Wissen Sie, grundsätzlich hat das Altern ja ausschließlich Nachteile.“
Fein gesprochen.

„Aber man reift doch auch“, mögen Sie jetzt vielleicht einwerfen.
Stimmt. Ich bin reif wie faules Obst.

„Aber Du siehst doch gar nicht aus wie vierzig“, versuchen mich meine Freunde immer zu trösten. Nun, zum einen: was tut das zur Sache, wenn mal nun mal vierzig ist und sich auch so fühlt?
Zum anderen wird dieser Satz auch durch gebetsmühlenartiges Wiederholen nicht wahrer.
Es ist so: mein Körper befindet sich tatsächlich in einer Art dysfunktionalem Dorian-Gray-Modus. Von den Füßen bis zum Hals sehe ich ungefähr aus wie ein Siebzehnjähriger – groß, schlank, sportlich, makellose Babyhaut. Das Gesicht jedoch, also das einzige Körperteil, das 99 Komma Periode Neun Prozent aller anderen Menschen jemals von mir wahrnehmen, altert ganz gewöhnlich und kontinuierlich vor sich hin. So, where’s the Advantage?

I mean: Vierzig! Hallo? Wie fällt denn die Bestandsaufnahme aus?
Keine große Ahnung vom Liebe machen, keine Ahnung von Computern, kein Geld, keine Familie, ein furchtbarer Job, eine angeschlagene Leber, eine teerverklebte Lunge, Schlafstörungen, Depressionen – you want some more? „Was hat dich bloß so ruiniert?“, würde Herr Spilker wohl fragen.
„Was das Leben betrifft sind wir alle Amateure, blutige Laien und Anfänger“ (H.R.Kunze),
schon richtig, aber irgendwie beschleicht mich hin und wieder der Gedanke, dass der/die ein oder andere sich da ein bißchen schmerzfreier durchwurschtelt.

„I hope I die before I get old“, sang der jugendliche Pete Townshend und prompt waren The Who Weltstars.
„I hope I’m old before I die“, verballhornte Robby Williams dreißig Jahre später, und war fortan nun auch nicht gerade unerfolgreich.
Recht hatten sie natürlich irgendwie beide.
Und wissen Sie was? Ich möchte trotz allem gar nicht so wirklich meckern.
Denn a) gebietet es die Existenzialistenpflicht selbstverständlich jederzeit darauf hinzuweisen, dass man für jeglichen Ruin in letzter Konsequenz einzig und allein selbst verantwortlich ist. Folgerichtig titelte Pete Townshend ja auch zwanzig Jahre später treffend „Cry if you want“ (also etwa: Heul doch!)
Und b) richtet sich ein jeder von uns immer wieder allzu gerne im eigenen Ruin häuslich ein. Das größtenteils selbst zu verantwortende Desaster wird zur heimatlichen Couch, und die verlässt man nun Mal in unserem hohen Alter nur noch äußerst ungern.
Darum schließe ich die Geburtstagsgedanken mit einem wunderschönen Text des Herrn von Loffzoff, zu hören auf der ansonsten größtenteils mal wieder vernachlässigbaren neuen Tocotronic-Platte Kapitulation:

„Mein Ruin, das ist zunächst etwas, das gewachsen ist.
Wie eine Welle, die mich trägt, und mich dann unter sich begräbt.
Mein Ruin ist, was mich zieht. Wiederholung als Prinzip.
Ein Zusammenbruch, ein Fall, ein Versuch, ein Donnerhall.
Mein Ruin ist Heiligtum, Diebstahl und Erinnerung.
Geboren aus Unsicherheit, Freude und Zerbrechlichkeit.
Mein Ruin ist Unverstand. Kein Märtyrer, nur Komödiant.
Nur aus Kälte und Distanz verleih‘ ich mir den Lorbeerkranz.

Mein Ruin ist mein Bereich, denn ich bin nicht einer von Euch.
Mein Ruin ist, was mir bleibt, wenn alles andere sich zerstäubt.

Mein Ruin, das ist mein Ziel. Die Lieblingsrolle, die ich spiel‘.
Mein Ruin ist mein Triumph. Empfindlichkeit und Unvernunft.
Eine Befreiung, eine Pracht. Sanfter als die tiefste Nacht,
die ab jetzt für immer bleibt und ihre eigenen Lieder schreibt.

Mein Ruin ist mein Bereich. Denn ich bin nur einer von Euch.
Mein Ruin ist, was mir bleibt, wenn alles andere sich betäubt.

Mein Ruin ist weiterhin eine Arbeit ohne Sinn.
Etwas, das man nie bereut. Eine Abgeschiedenheit.
Mein Ruin ist nur verbal. Feigheit vor dem Feind, der Qual,
der Trauer und der tiefen Not. Mein größtes Glück: ein tiefes Rot.

Mein Ruin ist mein Bereich, denn ich bin einer unter Euch.
Mein Ruin ist, was mir bleibt, wenn alles andere sich zerstäubt.
Mein Ruin ist mein Bereich, denn ich bin einer unter Euch.
Mein Ruin ist, was mir bleibt, wenn alles andere sich betäubt.

Mein Ruin, das ist zunächst etwas, das gewachsen ist.
Wie eine Welle, die mich trägt, und mich dann unter sich begräbt.
Wie eine Welle, die mich trägt, und mich dann unter sich begräbt.“

Dass ein Blog-Eintrag zum vierzigsten Geburtstag mehr oder weniger humorfrei daherkommt, das hatten Sie ja nun hoffentlich nicht anders erwartet. Aber dass der beklagenswerte Ist-Zustand nicht zuletzt mit einem wahren Füllhorn an Entertainment, Spaß und Lebensfreude vorbereitet wurde, soll an dieser Stelle auch nicht verschwiegen werden. Es gibt ja eh keine Alternative zum Älterwerden. Und der Satz „irgendwann ging’s mir besser schon als heute – z.B. letztes Jahr im Sommer“ (Tocotronic again) stimmt sowieso immer. Da können wir als Menschen nicht anders.
Trinken wir also nicht auf die nächsten vierzig Jahre, sondern versuchen wir, wie immer, erst mal die nächsten vierzig Tage halbwegs auf die Reihe zu bekommen. „Little by little“ (Oasis), wie es zu dem beschränkten menschlichen Wirkungskreis halt passt.

P.S.:
Mein Ruin, das ganz nebenbei, heißt nicht Liebe oder Unfreiheit, er heißt auch nicht Alkohol oder Nikotin. Er heißt noch nicht mal Eintracht Frankfurt. Er hieß, heißt und wird mein Leben lang heißen: Musik.
Musik und Nostalgie.

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