Wunderbares Geschenk des Schicksals, wenn einem beim Aufräumen und Ausmisten des Kellers in einer alten Umzugskiste unverhofft zwei eigene Machwerke aus längst vergangenen Zeiten in die Hände fallen. So fand ich heute zwei Texte, die ich etwa um die Jahrtausendwende geschrieben habe – also vor ca. 15 Jahren!
Beide lassen mich insofern etwas ratlos zurück, weil ich keine wirkliche Ahnung habe, zu welchem Zweck die Texte eigentlich verfasst wurden. Meine Zeit als Redakteur einer Frankfurter Musikerpostille müsste schon einige Jahre zuvor beendet gewesen sein, und die ersten Skizzen für mein Buch, also erste Gehversuche im Kolumnenschreiben, glaube ich nicht vor frühestens 2002 gemacht zu haben.
Anyway, einer der Texte gefällt mir eigentlich ziemlich gut. Den werde ich Ihnen im nächsten Beitrag servieren. Der zweite ist insgesamt miserabel und nicht veröffentlichungswürdig, aber einige Auszüge möchte ich Ihnen trotzdem nicht vorenthalten. Es geht, das wird Sie nicht überraschen, um Musik.

„Die Geschichte der Popmusik beginnt nicht im Vaudeville-Theater, nicht auf der Tin Pan Alley und erst recht nicht in Memphis. Die Geschichte der Popmusik beginnt in Liverpool.“

Ein von missionarischem Eifer getriebener Fan der britischen Popmusik war ich offensichtlich also bereits vor 15 Jahren.

„Wenn das abgegriffene Bonmot stimmt, dass die gesamte Pophistorie nicht mehr sei, als eine überdimensionale Dose Cola, dann muss man feststellen: die Amerikaner verkaufen die Cola, die Briten trinken sie einfach. It’s just a bottle of pop.“

Ich weiß nicht, was genau ich hier sagen wollte, aber jedenfalls stimmt irgendwas nicht – entweder ist die Argumentation unschlüssig oder die Metapher falsch. Oder beides.

„Der pathosschweren, THCschwangeren Gewitterwolke aus Seattle ging der urban-gelangweilte, Speed-zappelige Dilettanten-Rave der Happy Mondays, Soup Dragons, Charlatans etc. voraus.“

Das ist wenigstens inhaltlich korrekt. Schreibstilistisch würde ich mal den alten Grundschullehrersatz „Er war stets bemüht“ ins Feld führen.
Viel zu bemüht, im vorliegenden Fall…

„Die Briten brauchten die Rockmusik nie, sie gebrauchten sie höchstens, um immer neue, spannende Pop-Trends zu kreieren.“

An diesem Satz habe ich tatsächlich nichts auszusetzen, wenn man mal den meinerseits schon oft beklagten Mißstand ignoriert, dass das Wort „kreieren“ hingeschrieben einfach scheiße aussieht.

„Pop erhielt Inhalt und Prätention und wurde damit zu Rockmusik. Ziemlich überflüssige Erfindung, so ein bißchen wie Cola mit Grüner-Tee-Extrakt, um im oben gebrauchten Bilde zu bleiben. Jedenfalls ganz und gar unbritisch und letztendlich auch nicht überlebensfähig. Heute können wir aufatmen und sagen: Rock is dead! Riecht jedenfalls äußerst ranzig. Pop hingegen ist quietschfidel.“

Hört, hört! Bzw. You wish!

„Pop eats itself seit fast 40 Jahren, aber Pop verdaut eben auch, und was dabei herauskommt ist immer wieder neu und aufregend genug, um einer weiteren Generation jugendlicher Tunichtgute das Wörtchen Renitenz zu lehren.“

Auch stimmige Metaphern können mißglücken. Merke: Das Verdauungssystem evoziert relativ selten schöne Bilder!

Bezeichnenderweise ist der schönste Satz des Artikels nicht auf meinem Mist gewachsen:

„Tocotronic haben eine ganze Generation daddyfinanzierter Slacker über die Campushügel der Larmoyanz getrieben. (Ingo Mocek)“

Über die Lassie Singers urteilte ich:

„Alchime Meisterinnen der sanften Entschleunigung. Alle machen Spargelessen, Pausen und Geschlechtsverkehr. That’s my generation!“

Alchime?
Alchime.

Die Wiesbadener Band Readymade hat mir offenbar sehr gut gefallen seinerzeit:

„So wie hier alles Wahre, Gute und Schöne in Musik von Nada Surf bis Wilco hemmungslos in einen Topf geworfen wird und ein Fünf-Sterne-Menü dabei heraus kommt – das ist schon toll. Sei es der Steamhammer-Punk von When I Grow Up, die unprätentiöse Melancholie von One Of Those Days oder das kongeniale Stromgitarre (Townshend’s Tommy-Underture goes Highschool-Movie); hier macht jemand so gnadenlos das, was es schon lange gibt, nochmal und dabei so gut, dass es eine wahre Freude ist.“

Steamhammer-Punk?
Steamhammer-Punk.
Readymade mag ich aber immer noch.

„Auch aus Hanau hört man angenehme Klänge, und mit ihrer zweiten Platte Blue Lava Style haben Seesaw einige ihrer amerikanischen Vorbilder locker in der Tasche. Ich werde hier extra nichts über ihre Ähnlichkeit zu Buffalo Tom sagen – ups!, jetzt ist es doch passiert; egal – Seesaw: Musik, die man gerne hört.“

Fassen wir zusammen, was ich Ihnen offenbar im Jahr 1999 oder 2000 dringend ans Herz legen wollte:
Die Geschichte der (relevanten) Popmusik beginnt in Liverpool!
Amis: doof, Briten: gut
Rock: doof, Pop: gut
Lassie Singers, Readymade, Seesaw: gut
Schreibstil des Autors: ausbaufähig

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