Wie langjährige und geduldige Leser dieses Blogs wissen,
schreibe ich hier ausnahmsweise mal nicht über Musik, dann schreibe ich zumeist über:
Kaffee!
So auch heute, doch zunächst muss ich ein wenig ausholen.
Seit einigen Jahren bin ich Besitzer eines, äh, Gebrauchsgegenstands, den die Mehrzahl meiner Freunde und Bekannten, und zugegebenermaßen auch ich selbst, unter ästhetischen – oder sagen wir treffender – Style-Gesichtspunkten als hochnotpeinlich klassifizieren würde.
Es handelt sich um eine reißverschlußbesetzte, kleine Handy-Tasche, welche vorne am wahlweise rechten oder linken Tragegurt des Rucksacks anzubringen ist. Derlei Accesoires werden für gewöhnlich nur von Menschen benutzt, die auch Schweizer Offizierstaschenmesser in der Hosentasche haben, welche zusätzlich mit silbernen Ketten an einer Gürtelschlaufe der Jeans ankarabienert sind, oder, schlimmer noch, die auch einen „Leatherman“ in einem mit Klettverschluss am Gürtel befestigten Täschchen durch die Gegend tragen.
Uncool as fuck!, mal ganz abgesehen davon, dass die Prinzessin mit der großen hübschen Nase beim Arm in Arm flanieren das Telefonfutteral jedesmal direkt in die linke Backe gedrückt bekam, wenn ich Anstalten machte, sie zu küssen.
Ja, mein Gott, aber wissen Sie: Das Ding ist zwar peiiiinlich aber eben auch ungemein praktisch. Denn abgesehen davon, dass man das Telefon immer klingeln hört, und dann auch zeitnah rangehen kann, ohne zuvor hektisch in den Untiefen irgendeiner Tasche wühlen zu müssen, ist man vor allem auch von jeglicher Handydiebstahls-Paranoia befreit, weil man das Teil ja sozusagen knapp unterm eigenen Kinn aufbewahrt. Da kommt keiner unbemerkt ran!
Folgerichtig ist auch das Mobiltelefon seit Jahren verlässlich da und meins.
Dafür gehen halt die Prinzessinen relativ hochfrequent verlustig…

Nachdem ich nun also über Jahre standhaft und verwegen besagte Handytasche gegen mein überaus ruchloses und feindseliges Umfeld verteidigt habe, war es heute an der Zeit, einen weiteren Artikel zu erwerben, dessen Praktikabilität außer Frage steht, der aber in puncto Stil ein absolutes No-Go darstellt. Es handelt sich um eine dieser klappverschließbaren Kaffee-Thermos-Tassen, wie sie seit einiger Zeit von strunzblöden Businessmenschen in ICEs und von ausschließlich den unsympathischsten Kollegen im Büro gerne stolz und wie selbstverständlich zur Schau getragen werden.
Ja, ich habe jetzt auch so eine.
Merke: Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich bekanntermaßen gänzlich ungeniert.
Ich meine, das ist nun wirklich so ziemlich der ekelhafteste Gegenstand, den man sich vorstellen kann. Er wird empirisch belegbar ausschließlich von Idioten benutzt, es fehlt eigentlich nur der Aufdruck „Ich bin BWL-Student“, und noch dazu gibt es bei vermeintlich politisch voll unkorrekten Kettenbetrieben wie Starbucks einen Rabatt, wenn man beim Kaffeekauf seine eigene Thermos-Tasse mitbringt. Mich schaudert.
Aber erneut muss ich feststellen: Diese Dinger funktionieren so ungemein gut, dass es eine Art ist. Der Klau-Paranoia-Faktor fällt ja beim Heißgetränk nun nicht so sehr ins Gewicht, aber ich konnte heute beim ersten live-Einsatz des neuen Utensils mit Wonne feststellen: der Kaffee bleibt tatsächlich über eine Stunde lang wundervoll warm und wohltemperiert.
Ergo:
künftig nie mehr ärgern, dass der leckere Segafredo bereits auf dem Weg vom Bahnhofs-Kaffee-Stand zum Gleis durch die winterlichen Temperaturen auf ein klebriges Kaltgetränk reduziert wurde. Stattdessen die Reise
in vollen Zügen (in zumeist halbvollen Zügen, haha)
genießen, und sich nach jedem Kapitel des mitgeführten Buchs an einem weiteren Schluck des verlässlich wohlig-warmen Aufgussgetränks laben.
Künftig nie mehr ärgern, dass immer dann, wenn man sich im Büro gerade den wohlverdienten Mokka gezapft hat, das Telefon klingelt, und man einem nervigen Kunden fünf Minuten lang euphemistisch umschreiben muss, dass eben doch nicht er König ist, sondern man selbst, während das Juwel in der Tasse auf Ungenießbarkeitstemperatur herunterfriert. Stattdessen nach Auflegen des Hörers, passenderweise königlich, den Duft der immernochheißen Koffein-Droge inhalieren.
Kurz:
künftig bestgelaunt zur Arbeit gehen.
Kapitalismus und Erotik sind ohnehin zwei sich gegenseitig gänzlich ausschließende Kategorien, so who cares about style anyway?

Und wissen Sie was: in meinem Alter darf man das.
Schließlich wird man selbst der einst auferlegten Latte (nein, nicht Macchiato) des guten Geschmacks ja schon seit längerem nicht mehr gerecht.
Und in Zeiten, in denen die ach so verhasste FDP die Hartz-IV-Sätze erhöht und das Rauchen in Kneipen wieder erlauben will, muss man vielleicht sowieso alte Feindbildpatterns neu strukturieren.
Anything goes, wie wir damals in den Achtzigern parolierten…

Es grüßt aus dem ICE Bummelzug,
Ihr BWL-Leatherman,
Lenin

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