Einer von mehreren guten Gründen, warum die Q die beste Musikzeitschrift der Welt ist, sind die monatlich dort zu findenden Listen à la „die 100 besten Platten aller Zeiten“, „die 20 schlechtesten Platten aller Zeiten“, „die zehn wichtigsten Gitarrentracks“, „die zehn schlechtesten Sänger“ usw. usf.
Stets aufwendigst recherchiert und bebildert. Sowas liest man natürlich unglaublich gerne, und jedesmal kann man sehr viel zustimmen, hier und da die Nase rümpfen, und hin und wieder eben auch nur mit dem Kopf schütteln. Die Versuchung ist nach jeder Lektüre groß, eigene, richtigere Listen zu erstellen, aber dieser Versuchung widerstehe ich, denn naturgemäß sind derlei Vorhaben grundsätzlich zum Scheitern verurteilt – es gibt einfach zu viel wunderschöne und noch dazu oft schlicht nicht vergleichbare Musik.

In der neuesten Ausgabe wurden nun „die zehn perfektesten Songs aller Zeiten“ gekürt, perfekt in puncto Songwriting; also die ewige Suche nach dem ultimativen Popsong.
Von allen möglichen, derartigen Aufgaben natürlich die denkbar unlösbarste. Schließlich gibt es allein von meinetwegen den Beatles oder Oasis mindestens zwei Dutzend Songs, die allesamt unbedingt in die Top-Ten des Songwritings gehörten.
Nichtsdestotrotz ist die Auswahl der Q interessant und sei hier darum auch kurz kommentiert:

Sie enthält zunächst einen Volldanebentreffer: Dylans Blowin‘ in the Wind passt eigentlich eher in die Liste der „zehn größten Nervensägen aller Zeiten“.

Fehlprämiert wurde auch Lou Reeds Perfect Day – zwar ein schöner Song, aber seine ungeheure Größe erreichte dieses Stück durch den Einsatz in der Overdose-Szene des Films Trainspotting. Der Ruhm gebührt also hauptsächlich dem Regisseur, nicht dem Songwriter.

Strange Fruit
in der Version von Billie Holiday ist ergreifend und mag politisch einer der wichtigsten Songs aller Zeiten gewesen sein, hat aber m.E. nicht unbedingt etwas in einer Popmusikzeitschrift verloren.
Bleiben sieben durchaus ernstzunehmende Vorschläge:

God Only Knows von den Beach Boys. Muss ja, weil Pet Sounds, gell? Sicherlich eine gelungene Komposition, aber irgendwie nervt mich diese weltweit verbreitete Musikjournalistenkrankheit, immer so zu tun als sei die Pet Sounds die Platte des Jahrhunderts. Einigen wir uns doch bitte mal gütlich darauf, dass Pet Sounds für Beach-Boys-Verhältnisse erstaunlich ist, der erwähnte Song schön, und ansonsten gibt es aber mindestens dreihundertvierundtrölfzig geilere Platten, ok?

Born to Run von Springsteen. Kann ich als Nichtamerikaner und Vollblut-Britpopper nicht so nachvollziehen. Der Versuch neutraler Beobachtung lässt mich zumindest folgendes unken: zu lang, zu Bombast. I’m on Fire ist besser.

Von den Beatles wurde Strawberry Fields Forever gewählt, und das scheint mir, bei der erwähnten Unmöglichkeit, einen einzigen Beatlessong rauszupicken, doch zumindest eine mehrheitsfähige Wahl zu sein.

Und da sich die Menschheit bekanntlich in zwei Gruppen spaltet, nämlich Beatles-Fans und Stones-Fans, musste, um nicht die Hälfte der Leser zu beleidigen, natürlich auch eine Stonesnummer gekürt werden. Die Q entschied sich für Sympathy for the Devil, und auch diese Wahl kann ich verstehen (wenngleich ich als Nicht-Stones-sondern-Beatles-Mensch ganz andere ihrer Songs bevorzuge, die dem gemeinen Stonesfan wahrscheinlich eher die Schamesröte ins Gesicht treiben, etwa Miss You oder We Love You). Verstehen deshalb, weil der Text so einzigartig wegbereitend war, und eine ganze Generation von Rockmusikern in die Hände des Teufels trieb, ganze Genres wie z.B. Hard Rock/Heavy Metal sozusagen thematisch vorbereitet hat. Genres, wohlgemerkt, auf die wir im großen und ganzen hätten verzichten können…

Bowies Life on Mars ist toll aber womöglich trotzdem noch nicht mal das beste Stück auf Hunky Dory (Changes, anyone?).

Bleiben noch zwei, die nun aber tatsächlich völlig zu Recht in dieser Liste auftauchen:
Bitter Sweet Symphony von The Verve, wahrhaftig eine der gelungensten Kompositionen aller Zeiten. So gelungen, dass selbst die Kirmestechno-Remixes, die einige Jahre später die Charts bevölkerten, richtig geile Kracher waren. Bleibt nur die auf ewig ungelöste Frage, ob Herr Ashcroft den Song denn nun wirklich selbst geschrieben hat, oder ob er doch nur ein Stones-Thema geklaut hat. Was mich nicht wirklich anficht, denn gutes Klauen gehört seit je zum Grundrüstzeug jedes Songschreibers.

Volle Zustimmung schließlich zur Wahl von Hallelujah von Leonhard Cohen. Vorzugsweise in der Version von Jeff Buckley. Dieser Song ist zweifellos derartig weltbewegnd traurig und schön, dass man es kaum ertragen kann. Hören Sie dieses Lied an einem verkaterten Sonntagmorgen allein zu Hause, und wenn Sie sich anschließend nicht umbringen, dann verfügen Sie fürwahr über ein eisernes Selbstwertgefühl. Herzlichen Glückwunsch.
Wahrscheinlich hat Sie gerettet, dass man ein einziges Mal eben doch kurz lachen muss, weil nämlich ein winziges, klitzekleines „Hallelujah“ doch ungewollt ein wenig an Ludwig Thoma gemahnt…
Wer es selbst testen will, hört bitte hier ergriffen zu.

Die geschätzten eintausend perfektesten Popsongs, die in dieser Liste fehlen, werde ich Ihnen vermutlich scheibchenweise nachreichen. Hallelujah!

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