Das neue Jahr ist schon wieder zu 25% rum, also Zeit für ein paar musikalische Notizen.

Tocotronic waren einst in nahezu allen Belangen die wichtigste und aufregendste deutsche Band. Auf ihrem seit einigen Jahren andauernden schleichenden Rückzug aus dem Zentrum der Aufmerksamkeit haben sie nun Nägel mit Köpfen gemacht und ihren endgültigen Abschied von der musikalischen Relevanz bekanntgegeben.
Dass sie dazu statt einer einfachen Pressemeldung gleich ein ganzes Album namens Wie Wir Leben Wollen veröffentlichten, sei ihrer immer noch irgendwie liebenswerten Eigenartigkeit gestattet.

Die Foals waren die Shooting-Stars von neulich, und ihre ersten beiden Alben machten sie weltweit zu Lieblingen aller Indie-Dancefloors, wo Nummern wie Hummer und Cassius wie die sprichwörtlichen Bomben einschlugen und Horden von jungen wie alten Musikfreunden in Ekstase und Begeisterung versetzten.
Um so größer die Ernüchterung, die mit dem neuen Album Holy Fire einhergeht. Ähnlich wie bereits letztes Jahr, als Two Door Cinema Club ihr Beacon vorlegten, fragt man sich händeringend, wer zum Teufel all diesen wilden, innovativen, stürmen- und drängenden Bands eigentlich plötzlich den Stecker gezogen hat. Und warum?
Auf dem Opener Inhaler verwechseln sie (oder Produzent Flood) sich kurzerhand mit einer Prog-Rock-Kapelle (bezeichnenderweise geht dem Song auf dem Album ein vierminütiges Prelude voraus), die meisten anderen Songs plätschern hookfrei und uninspiriert vor sich hin. Am ehesten erinnert noch die zweite Singleauskopplung My Number an gute alte Tage. Konsequenterweise ist der Song Late Night das Highlight wegen seines potenziellen Falschverstehers im Refrain – Sänger Yannis Philippakis scheint fortlaufend von „Sellerie“ zu singen.
Und in Providence plädiert er wiederholt, „I am an animal just like you“. Stimmt sogar, denn wie Ihr Blogadministrator ist offenbar auch Herr Philippakis leider nicht mehr der Gepard von einst, sondern nurmehr ein ziemlich verschlafenes Murmeltier.
Fazit: Herbe Enttäuschung.

Wagen wir also in dieser offensichtlichen Flaute auf den Indie-Meeren einen kleinen Seitentörn in andere musikalische Gewässer:
Blumentopf haben gerade ein Live-Album veröffentlicht. Nicht dass Sie mich falsch verstehen – Hiphop ist und bleibt live unerträglich, egal ob im Club, auf dem Festival oder auf Platte. Aber die dahinterstehende Studioveröffentlichung vom letzten Herbst (Nieder mit der GbR) ist trotz der ehrgeizigen Zahl von 16 Songs beinahe in voller Länge empfehlenswert.
Ein erquickliches Kleinod an andauernden verbalen Albernheiten, gereimten Kalauern und hier und da sogar gut beobachteter Bestandsaufnahme gesellschaftlicher Gegen- Um- und Mißstände.
„Wir brauchen keine Architekten, um Scheiße zu bauen“ kündigen Blumentopf auf dem Opener Antihelden vollmundig an, und in der Tat: sie „exen Schnapsideen“ im Minutentakt und das noch zu größtenteils durchaus sauber produzierten, abwechslungsreichen Beats.
„Ich bin ne Stereotype mit nem Monolebenslauf.“ oder
„Pendler warten am Bahnsteig auf Freitag als wären sie Robinson,“ – wer auf derlei Wortspielerein steht, wird hier großen Spaß erleben.
Und auf Rosi darf sogar Altnichtmeister Günter Sigl („unter 32 16 8“) den Refrain singen, nahezu aufwühlend nostalgisch.
Herausragend aus meiner Sicht ist natürlich der Song Schwarzes Gold, eine hymnische Liebeserklärung an Herrn Lenins Lieblingsgetränk Kaffee.
„Pack Deine Koffer, wir pilgern nach Mokka!“
Wohlan und weiter so.
Ihr Al CaBohne

Links:
Foals – My Number
Blumentopf – Schwarzes Gold

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