Dann also kam 2005. Was für ein Jahr!
Ich helfe Ihrer Erinnerung ein wenig auf die Beine:

Kaiser Chiefs veröffentlichen ihr Debüt Unemployment.
Ich hörte I Predict A Riot zuerst in einer Diskothek, wusste sofort, das ist mein Song (ein Gefühl, welches sich in diesem Jahr noch mehrmals wiederholen sollte), sang schon beim zweiten Refrain lauthals mit, was ich halt so zu verstehen glaubte („I put it to rest, I put it to re-est!“), einer dieser goldenen Discothekenmomente, wo einem wieder bewusst wird, dass der Club eben doch der schönste Platz auf Erden ist. Ein abgedroschener Mythos, klar, aber ein allzu schöner, um nicht hin und wieder an ihn zu glauben. Eine Bekannte der Stullenkönigin sagte einst diesen wundervollen Satz: „Als ich mit 16 zum ersten Mal in der Disco war, wusste ich sofort, dass ich den Rest meines Lebens genau dort verbringen möchte!“ Eine Psychopathologie, wenn Sie so wollen, die sie mit vielen ihrer Zeitgenossen, Ihr Blogadministrator nicht ausgenommen, teilen dürfte, und eine der wenigen, die auch die nachfolgenden Generationen willenlos hingenommen und sich zu eigen gemacht haben. Und die Kaiser Chiefs hatten den entsprechenden Soundtrack dazu: „Oh my god, I can’t believe it, I’ve never been this far away from home.“ Treffender lässt sich diese kurze, nachtsumhalbdrei-Tanzbodeneuphorie, derer man an unvergesslichen Abenden manchmal habhaft wird, wohl nicht in Worte fassen. Oder, wie But Alive es zu singen pflegten: „Nur wegen ihm bin ich hier, wegen diesem letzten Moment.“
Das Album war eine wahre Hitschleuder. Everyday I Love You Less And Less ein weiterer genialer zwangsmitgröhlevozierender Smasher und Na Na Na Na Naa ein schmutziges Stück Rock resp. Rotz. Von all den heute hier verhandelten Bands, traue ich den Kaiser Chiefs am ehesten zu, auch noch in zehn Jahren eine bedeutende Rolle im Popzirkus zu spielen.

Bloc Party veröffentlichten ihr erstes Album Silent Alarm.
Die Band hatte zuvor bereits durch einige Singles und EPs auf sich aufmerksam gemacht, so dass ihnen, ähnlich wie später im Jahr auch den Arctic Monkeys, die Platte sozusagen aus den Händen gerissen wurde, als sie endlich draußen war. Banquet war ihr größter Hit in 2005, aber die Band hatte schon vorher tolle Songs am Start (She’s Hearing Voices, Helicopter), und machte auch auf den Folgealben verlässlich gute Musik. Dabei wagten sie teilweise durchaus dissensfähige stilistische Experimente, was zwar nicht immer von (künstlerischem) Erfolg gekrönt war, aber die Band wenigstens niemals langweilig werden ließ.
Bloc Party sind aber auch deshalb wichtig, weil sie als ein weiteres Cultural Icon des gerade vergangenen Jahrzehnts taugen (vgl. hier). Und zwar ausnahmsweise mal ein positives. Kele Okereke ist nämlich der erste mir bekannte dunkelhäutige Sänger, der nicht nur alles andere als „Black-Music“ macht, sondern dessen Hautfarbe schlicht nirgendwo Erwähnung findet. Jedenfalls habe ich noch keinen Artikel, keine Rezension zu Bloc Party gelesen, in der dies ein Thema gewesen wäre. Mit anderen Worten: Bloc Party stehen für die Alltäglichkeit und die Normalität der multikulturellen Großstadtwelt – die weitgehend erfolgte Lösung potenzieller gesellschaftlicher Konfliktfelder erkennt man schließlich meist am besten daran, dass sie einfach kein Thema mehr sind.
Meine Damen und Herren, Sie wurden soeben Zeuge eines klassischen performativen Widerspruchs…

Arctic Monkeys veröffentlichen ihr erstes Album Whatever People Say I Am I’m Not.
Widmen wir uns also den ersten sogenannten MySpace-Stars. Eine Band, die bereits große Hallen füllt, obwohl sie überhaupt noch kein Album veröffentlicht hat. Willkommen im tonträgerlosen Zeitalter. Wenn Musik nur noch aus Einsen und Nullen besteht, dann sind natürlich auch herkömmliche Formen der Darreichung hinfällig – die Tatsache, dass Bands überhaupt noch „Alben“ veröffentlichen, ist ja nur dem Umstand geschuldet, dass die Plattenfirmen immer noch einen Aufhänger, also insbesondere einen VÖ-Termin, brauchen, um den herum sie ihre sämtlichen Marketingaktionen gruppieren können. Arctic Monkeys waren also schon Stars, als besagtes Album rauskam (zugegebenermaßen erst im Januar 2006, but…), und folgerichtig chartete es in der ersten Woche direkt auf Platz Eins.
Und die Band hat sich nicht zu Unrecht allen Unkerufen und Teenie-Posterband-Beschuldigungen zum Trotz bis heute durchgebissen. Zwar handeln Alex Turners Texte definitiv nicht mehr von der Welt meiner Generation, aber der Charme mit dem er erzählt, die scheinbare Leichtigkeit und diese allwissende Attitüde, mit denen er sich den Banalitäten des jugendlichen Alltags nähert, haben ihm eben auch ausreichend Meriten bei der Indie-Polizei und der rennomierten Musikjournaille eingebracht.
Klar, I Bet That You Look Good On The Dancefloor und Dancing Shoes sind dermaßen abgenudelt, dass man sie als DJ fast nicht mehr auflegen darf, aber die Band hat glücklicherweise genug andere nette Songs gemacht – die leiseren häufig die schöneren.
Popstar werden unter Umgehung der Plattenindustrie, lediglich vermittels der eigenen Homepage oder eben eines MySpace-Accounts: auch das ein Stunt, der bezeichnend ist für die vergangene Dekade, und der nach den Arctic Monkeys noch vielfach wiederholt wurde (siehe Kate Nash, Lily Allen, Little Boots u.a.)

Maximo Park veröffentlichten ihr erstes Album A Certain Trigger.
Sänger mit Hüten sind ja eigentlich grundsätzlich ein striktes No-Go. Aber in diesem einen Fall wollen wir mal Fünfe gerade sein lassen. Die Platte bescherte den Herren aus Newcastle ihre ersten beiden Charthits The Coast Is Always Changing und Apply Some Pressure. So richtig zur vollen Blüte gelangten sie erst auf dem Nachfolgealbum Our Earthly Pleasures, aber trotzdem war ihr Debüt ein integraler Bestandteil der ganzen Sause und ihr eigenwilliger Charme und die etwas akademische Art zu texten sind bereits deutlich erkennbar.

Art Brut veröffentlichen ihr erstes Album Bang Bang Rock’n’Roll.
Welch köstliches Entertainment kam da in Person von Eddie Argos und seinen Mitstreitern aus der englischen Hauptstadt gekrochen! Der Bandname war jedenfalls Programm, und wenngleich die Grenzen zwischen Musik und Comedy hier ein ums andere mal verwischt wurden, das Singalong-Potenzial von Smashern wie My Little Brother, Moving To L.A. und insbesondere Got Myself A Brand New Girlfriend („I’ve seen her naked. Twice! I’ve seen her naked. TWICE!“) ist allererste Sahne und großes Popkino.

Babyshambles veröffentlichten ihr erstes Album Down In Albion.
Das ist ehrlich gesagt nicht wirklich meine Musik. Aber es ist auch nicht alles schlecht. Eigentlich ist Doggaty ja ein netter Kerl und sogar ein überaus talentierter Songtexter, aber in diesem Fall muss eben leider doch mal ein uraltes Klischee bemüht werden: This talent was completely wasted. Zwar bewusst und sozusagen als Attitüde, doch was hilft’s?

Auch im Rest der Welt profitierten viele Bands vom neuen Gitarrenhype auf der Insel, und/oder trugen Ihren Teil zum grandiosen Gesamterlebnis dieses überreichen Musikjahres bei.
So kamen etwa die Schweden Mando Diao zum endgültigen Durchbruch mit Hilfe ihrer beiden Erfolgssingles Down In The Past und You Can’t Steal My Love (letzteres jener Song, bei dem man am Ende immer versteht: „Honey I love you like the Santa Claus.“)
We Are Scientists aus New York beglückten uns ebenfalls mit zwei wunderschönen Hitsingles: Nobody Move, Nobody Get Hurt und The Great Escape.

Und natürlich fuhr der Zug auch 2006 und 2007 noch vollgas weiter. Neben den größtenteils hervorragenden Nachfolgealben der oben gelisteten Debütanten, gesellten sich durchaus noch weitere wundervolle Kapellen hinzu.
The Kooks veröffentlichten 2006 ihr erstes Album Inside In/Inside Out.
Little Man Tate veröffentlichten im Januar 2007 ihr erstes Album About What You Know.
The Enemy veröffentlichten im Sommer 2007 ihr erstes Album We’ll Live And Die In These Towns.
Und auch das erste Wombats-Album A Guide To Love, Loss And Desperation sollte nicht unerwähnt bleiben.

Nun, natürlich ist das hier zusammengefasste nur die Spitze eines Eisbergs – wie immer bei popkulturellen Hypes ist die schiere Masse an neuen Bands und Veröffentlichungen erdrückend und nicht alles, was ans Tageslicht gelang, ist auch notwendigerweise bemerkenswert. Sollte ich trotzdem etwas Wichtiges vergessen haben, zögern Sie nicht, einen entsprechenden Kommentar zu hinterlassen.

So, und was verlinke ich nun?
Für Menschen, die die erwähnten Bands nicht so gut kennen, sollte man eigentlich die großen Hits raussuchen, denn schließlich haben Sie ja dann wirklich bisher etwas Großartiges versäumt. Aber solche Menschen haben höchst wahrscheinlich ohnehin nicht bis hier hin mitgelesen.
Also habe ich versucht, ein paar vielleicht etwas weniger abgedroschene Songs herauszupicken, die m.E. aber trotzdem der lustvollen Hingabe eignen.

Kaiser Chiefs – Modern Way
Ein weiteres Juwel vom Erstlingswerk Unemployment.

Bloc Party – I Still Remember
Ihre mit Abstand konventionellste Nummer. Offenbar auf Druck der Plattenfirma speziell für den eher traditionalistischen amerikanischen Markt komponiert. Nichtsdestotrotz eine wunderschöne Popperle.

Arctic Monkeys – Riot Van
Hier haben sie so einen typischen Alex Turner-Vers:
„And up rolls the riot van
And these lads just wind the coppers up
They ask why they don“t catch proper crooks
They get their address and their names took“

Maximo Park – Our Velocity
Maximo Park waren übrigens als erste, und soweit ich weiß auch einzige, der hier erwähnten Bands auf Tour in China. Durchschnittliche Besucherzahl? Niedrig.
Aber ganz klar ein Zukunftsmarkt. Ganz klar…

Art Brut – Emily Kane
Die Pophistorie kannte bereits Citizen Kane, und dank Sonic Youth kannte sie auch Sugar Kane, aber durch Art Brut wurde sie nunmehr noch um Emily Kane bereichert. Beachten Sie insbesondere Mr. Argos‘ hairdo.

Babyshambles – Killamangiro
Da dürften doch zumindest die Herzen von Wortspielenthusiasten höher schlagen.
Der naheliegendere Songtitel Killamancrack wurde allerdi – ach, lassen wir das…
Das Video ist, nebenbei, genauso hingerotzt wie die Musik resp. Herrn Dohertys Leben.

Mando Diao – You Can’t Steal My Love
Santa Claus, anyone?

We Are Scientists – After Hours
Ähnlicher Kommentar wie oben bei Bloc Party. Selten hat diese Band so angestrengt auf die Charts geschielt, aber auch hier wurde die Übung mit Bravour gemeistert.

The Kooks – Ooh La
Von wegen Teenage-Posterboys und so. Egal.
„Pretty, pretty, pretty Pettycoat“ – das ist briliant!

Der Rest des vergangenen Musikjahrzehnts wurde ja hier im Blog größtenteils bereits live mitverfolgt, so dass ich mich im nächsten und abschließenden Beitrag dann um ein paar Randnotizen und vielleicht sogar die ein oder andere persönliche Hitliste kümmern kann.

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