Fühle mich genötigt, an dieser Stelle doch mal was zu den beiden erfolgreichsten britischen Popkapellen des vergangenen Jahrzehnts zu schreiben. Schließlich ist dieser Blog ein Britpop-zentriertes Medium, und irgendwie tauchen weder Coldplay noch Radiohead hier jemals auf.
Auch in den unlängst geposteten Jahrescharts waren sie wieder mal nicht vertreten, obgleich beide Bands in 2011 jeweils neue Alben veröffentlicht haben.
Woran das liegt?

Radiohead ist einfach: Die ersten vier Songs auf The Bends waren, glaube ich, die letzten Lebenszeichen dieser Band, die mich mehr als durchschnittlich emotional berührt haben. Und das war 1995!
Ich habe schon OK Computer nicht verstanden – ein Album, das in keiner „Liste der besten Platten aller Zeiten“, die irgendwer seit der Jahrtausendwende erstellt oder gewählt hat, fehlt. Meist auf einem der vordersten Plätze. Vermutlich sind zu keinem Album in den Nullerjahren mehr Kinder gezeugt worden. Everybody loves Radiohead but me!
Keine Ahnung, was ich falsch mache – vielleicht fehlt mir ein Gen oder so.
Ich finde Radiohead nicht schlecht (hätte ich statt einer 2011-Top-20- eine 2011-Top-40-Liste erstellt, wäre Lotus Flower wahrscheinlich dabei gewesen), aber ich finde einfach keinen wirklichen Zugang zu ihrer Musik. Irgendwie wirken die auf mich immer nerdig und reichlich verschwurbelt. So pseudo-tiefsinnig. Die omnipräsente Radiohead-Attitüde ist ja nicht Teenage-Angst sondern eher Adult-Angst, aber gerade das kommt mir irgendwie pubertär vor. Und Falsettgesang gehört bekanntlich auch nicht zu den von mir favorisierten Vokaltechniken.
Aber ich gelobe, mir weiterhin Mühe zu geben [insert Smiley].

Es gab mal vor 10, 12 Jahren eine britische Band namens Polak um den Ex-Adorable-Sänger Pete Fijalkowski. Die haben sehr Radiohead-ähnliche Musik gemacht, aber m.E. viel schöner und unprätentiöser. Genauso verzweifelt aber zugänglicher (more „catchy“, if you like).
Leider brachte es die Combo nur auf zwei Alben und eine EP.
Polak habe ich mal in London live gesehen, und das war sehr, sehr beeindruckend.
Diese Band sollte jeder Radiohead-Fan kennen, aber auch dem Rest der Welt sei sie posthum dringend anempfohlen.

Kommen wir zum schwierigeren Thema: Coldplay
Bei denen ist es ja genau andersrum. Jeder hasst sie. Zumindest auf der Insel dürfte es keine andere Kapelle geben (außer Snow Patrol), die häufiger öffentlich gedisst wird. Wannimmer jemand z.B. im Fernsehen versucht, seine Coolness hervorzuheben – der einfachste und abgedroschenste Weg ist eine lästerliche Bemerkung über Chris Martin oder dessen Band.
Klar: Celebrity-Ehefrau, Millionenumsätze, Schnulzballaden etc.:
an easy target.
Und natürlich haben sie auch die ein oder andere furchtbare Nummer gemacht: Yellow, Every Teardrop Is A Waterfall (PATHETIC!!!) und als vorläufigen Tiefpunkt eine Kollaboration mit Rihanna (Princess Of China).
Aber was dabei oft übersehen wird, ist das nahezu perfekte Songwriting.
Fast kein Coldplay-Album ohne mindestens zwei oder drei Songs für die Ewigkeit. Und selbst wenn die nicht immer 100%ig so arrangiert sind, wie es sich das Indie-Herz vielleicht wünschen würde – von der unwiderstehlichen Eingängigkeit und Brillianz von Songs wie Clocks, Fix You, Talks oder Speed Of Sound vermag sich ja doch niemand ehrlich zu emanzipieren.
Debüt Parachutes war zugegeben ein ambivalenter, oft zuckersüßer Brei, bei dem das Potenzial aber schon durchschimmerte, A Rush Of Blood To The Heart und X&Y waren die Alben, mit denen sie nicht zufällig zu Stadion-Rockstars mutierten.
Dann kam in 2008 sozusagen ihr Rubber Soul-Moment: ViVa La Vida enthält einige der besten weil unerwartetsten Nummern im bisherigen Schaffen der Band (am eindrucksvollsten nachzuhören bei Yes und Death And All His Friends). Allerdings: was sie auf diesem Album an credibility gutgemacht hatten, verloren sie gleichzeitig an sing-and-dream-along-Material.
Denn, keine Frage: Clodplay sind eine Hymnenband.
Nicht, weil sie schon lange Superstarstatus haben, sondern weil auf diesem Terrain einfach die außergewöhnlichen Songwriting-Talente von Herrn Martin und Mitstreitern liegen.
Einerseits also schade, andererseits folgerichtig, dass dem Rubber Soul-Moment nun kein Revolver-Moment folgte. Denn das 2011er-Album Mylo Xyloto ist eher eine Rückkehr zu Althergebrachtem. Und enthält dafür wieder zwei, drei Songs, die eben nicht umsonst Massentauglichkeit zelebrieren.
Weil sie einfach gut sind (auch Hurts Like Heaven oder Paradise hätte meine 2011er-Top-40 mit Sicherheit enthalten).
Kurz: Coldplay bleibt eine Gratwanderung zwischen „uncool as fuck“ und „ergreifend schön“.
Hier noch ein nettes Chris-Martin-Statement zu diesem Thema:
„Hating us is such a luxury. If you can spend your day blogging about why Coldplay are shit then your life is amazing. You do not have to worry where your food is coming from or if someone is going to bomb your house or if there is a typhoon coming.“
Ich jedenfalls mag Coldplay deutlich lieber als Radiohead.
Das dürfte den wenigsten von Ihnen so gehen, tut mir Leid, aber wie gesagt: ich arbeite daran…

Links:
Radiohead – Lotus Flower
Polak – Tracer (leider ein Schrottvideo aber ein wirklich sensationeller Song)
Coldplay – Paradise

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