Habe unlängst, zugegeben recht spät im Leben, den Roman To Kill A Mockingbird von Harper Lee gelesen. Die meisten von Ihnen kennen das wahrscheinlich schon seit Schulzeiten. Meine Englischlehrer hatten das aber irgendwie nicht aufm Schirm, also hab‘ ich diese Lücke im Lesekanon jetzt mal eigenständig geschlossen. Und es nicht bereut. Ist zu Recht ein Klassiker.

Aber vor allen Dingen weiß ich seither endlich, wonach sich die Britpop-Helden The Boo Radleys benannt hatten. Nämlich nach einer Figur aus diesem Roman. Und zwar eine sehr dunkle und geheimnisvolle, wenn nicht gar gespenstische Figur. Wenn Sie also von den Boo Radleys nur die Allerweltssingle Wake Up Boo kennen, werden Sie  handlungslogisch bemängeln, dass der Bandname etwa so gut zur Musik passt, wie die Faust zum Eimer.

Allerdings machten die Boo Radleys zu Beginn ihrer Karriere unhörbares Shoegaze-Gedröhne, und dafür wiederum scheint mir der Bandname überaus adäquat zu sein. Ich finde ihn sogar richtig gut.

Kommen wir also zum entscheidenden, nämlich dem musikalischen Schaffen der Band: In der Retrospektive ist das Übergangsalbum Giant Steps am interessantesten, mit dem sie sich 1993 langsam aber sicher aus dem Fahrwasser des kurzlebigen Shoegaze-Trends auf der Insel herauszustehlen versuchten, und erste Schritte in Richtung klassischem Britpop unternahmen. Damals klang das für zeitgenössische Ohren vermutlich ziemlich konzeptlos, aber heute ist es gerade deshalb ein abwechslungsreiches und eben auch ziemlich eigenständiges Album.
Es folgten die kurzen glory days mit etwa anderthalb Charthits im Zuckerbäckerstil und dem Longplayer Wake Up (1995).
Die Nachfolgealben C’mon Kids (1996) und Kingsize (1998) blieben schon wieder relativ unbeachtet und also kam auch schon bald das Ende der Band.

Zumindest Gitarrist Martin Carr hat es jedoch ob seiner prägnanten und oft wunderschönen Licks verdient, als einer der richtig guten des Genres in der kollektiven Erinnerung zu bleiben. Hören Sie sich am besten folgende Songs mal an:
Leaves And Sand – Tolle Ballade, bei der die Schuhguckerwurzeln noch omnipräsent sind.
Lazarus – ein bißchen Shoegaze, am Anfang eine Prise Reggae, aber auch schon die unvermeidlichen, hier jedoch gekonnt platzierten, Ba-Ba-Ba-Bahs.
I Hang Suspended – Ziemlich purer Britpop. Pausbäckig und ein wenig abgedroschen, aber halt trotzdem schön. Und ein lustig-schrottiges low-budget-Video.

 

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