Als ich hier vor einiger Zeit die BaMuZi-Serie ins Leben rief, hatte das einen einfachen aber wunderschönen Grund: Daheim bei Muttern, in meinem ehemaligen Kinderzimmer, fand ich in einem der hinteren Schränke ein paar Relikte aus Teenagertagen; Comics, alte Schulhefte und -Bücher, sowie ca. zwei Jahrgänge der Zeitschrift Fachblatt Musik Magazin, die der adoleszente Lenin, wie sich das seinerzeit für Popstars-in-the-making geziemte, Mitte der 80er pflichtgemäß weggeschmökert hatte. Weil das weniger Schweinehundfighten bedeutete als wirklich Gitarre zu üben und man dabei so prima von der eigenen fürs spätere Leben vorgesehenen Weltstar-Karriere träumen konnte.
Und welch königliches Plaisir das in den letzten Wochen war, diese alten Schinken allesamt grad noch einmal komplett durchzulesen!
Das Fachblatt wandte sich ausschließlich an Musiker, war, wenn man so will, eine Art Softporno für Equipment-Fetischisten, nannte sich aber trotzdem „Musikmagazin“, und berichtete eben nicht ausschließlich über neue Amps und Effektgeräte sondern auch ganz viel über Bands und Platten. In Form von Interviews und Rezensionen.
Ein Musikmagazin wohlgemerkt, das größtenteils von Musikern geschrieben wurde. Also nicht zwingend mit dem Segen rhetorischer Fähigkeiten oder gar einer ebensolchen Ausbildung ausgestatteter Personen. Eher Leuten, die zwar ganz gut mit einem Lötkolben oder vielleicht sogar einem Plektron hantieren konnten, aber nicht unbedingt mit der eigenen Muttersprache.
Die Musik weniger von ihrer ästhetischen als vielmehr von ihrer handwerklichen Seite aus beleuchteten. Das eine hat zwar durchaus etwas mit dem anderen zu tun, aber ein unseliger Fokus ist es natürlich trotzdem.
Das Fachblatt strotzte vor Druckfehlern, sprachstilistischen Mißgriffen, Ausweisen mangelhafter Englischkenntnisse und teilweise haarsträubenden musikhistorischen Fehlern und Fehlurteilen, das es eine Art war. Bei totaler Abwesenheit jeglichen Sinns für so etwas wie „Independent-Kultur“. Und das alles obendrein aufgeschrieben in dieser latent ekelerregenden, gewollt lockeren Mucker-Kumpelhaftigkeit – es war einfach toll!

Natürlich ist es unmöglich, Sie an diesem Spaß in vollem Umfang teilhaben zu lassen. Aber ich möchte es zumindest nicht versäumen, Ihnen an Hand weniger Beispiele eine kleine Ahnung zu vermitteln.

So berichtet das Fachblatt anno 86 über eine damals noch weitgehend unbekannte Soulband aus Manchester namens Simply Red. Deren erste Single „Monoy’s Too Tight To Mention“ enthalte die Zeile „Wo’re talking about Ronnie, Ronnie“, was dem Song eine „zusätzliche politische Dimension“ verleihe.
Nun, zwei zusätzliche Os hat es dem Song ohne Zweifel verliehen. Doch was an dieser Stelle noch wie ein unglücklicher Zufall oder eine defekte Schreibmaschine aussieht, entpuppt sich schon auf der Folgeseite als System, wenn von Dylans Song „Quinn The Eskomo“ die Rede ist (auf der gleichen Seite auf der die Bangles kurzerhand in „Bagles“ umbenannt werden).
Schade fürs Fachblatt, dass in jenem Monat niemand eine Coverversion von Dro Chonoson mot dom Kontroboss rausbrachte. Darüber hätte es sicher gerne berichtet.

Dass man als Musikjournalist ruhig wissen darf, dass ein berühmter Liveclub in London „Marquee“ heißt, ist eins.
Dass man es als Fachblatt-Autor vielleicht trotzdem nicht tut, etwas anderes.
Dass man sich dann aber (so geschehen im Bericht über die Band The Multicoloured Shades), von allen Möglichkeiten den Namen falsch zu schreiben, ausgerechnet für „Marquez“ entscheidet – das hat einfach humoristische Klasse!

Über ein Mitglied von Boytronic erfahren wir, er sei hauptberuflich für das Styling von Models zuständig, und zwar für „Präsentationen prominenter und prominentester Mode-Designer wie Wolfgang Joob“.
Nun, offenbar nicht „prominent oder prominentest“ genug, dass das Fachblatt seinen Namen kennen würde. Aber gegenüber Namen kultivierte man ohnehin eine überzeugte laissez-faire-Attitüde – diese sind bekanntlich Schall und Rauch, auch und gerade wenn es sich um solche aus des Blattes ureigenem Metier handelt, der Musik.

Mal gibt man sich ressourcenschonend, etwa wenn The Go-Betweens zur Gruppe „Go Between“ zurechtgestutzt werden, mal intellektuellenfreundlich, wenn Jaz Coleman, der Sänger von Killing Joke (Fachblatt: „die Killing Jokes“) zu „Jazz Coleman“ wird, und manchmal auch richtiggehend kreativ, z.B. wenn der Jaz/Jazz-Klarinettist Jimmy Giuffre kurzerhand zu einem „Jimmy Due Fray“ mutiert.

Der Gipfel der Stümperei begegnet uns in einem Interview mit den damals noch jungwilden Chili Peppers. Anthony Kiedis schwafelt irgendwas über die Sex Pistols und Flea erklärt (natürlich nur laut Interview-Transkription des Fachblatts…):
„Er meint das Album Nevermind Of Bullshit.“,
was die Autorin zu dem schlaumeierischen Hinweis an die Leser animiert, das Album heiße in Wirklichkeit „Nevermind Of Bullocks“!
Ja genau. Und wer es fertigbringt, als bezahlter Schreiber eines Musikmagazins in den Titel eines der berühmtesten Alben der Rockgeschichte drei (in Worten: drei) Fehler einzubauen, den muss man einfach für seine Chuzpe hutziehend bewundern.
Dieser Meinung ist bestimmt auch Sandra Bullock.

Herrlich auch die Plattenkritiken:
„The Cure darf man wohl ohne weiteres als eine der eigenwilligsten und originellsten englischen Gitarrenrock-Formationen bezeichnen.“
Der gescheiterte Rocker sitzt in seiner Mansarde in Wermelskirchen, statt Autogramme mit Lippenstift auf Groupie-Bäuche schreibt er halt Plattenbesprechungen fürs Fachblatt und teilt der Welt mit, als was man The Cure bezeichnen darf.
Als „Gitarrenrock-Formation“ nämlich, und zwar „ohne weiteres“.
Das ist so herzzerreißend provinziell, dass ich fast vor Freude weinen muss.

Im gleichen Heft teilt man uns beflissen mit, R.E.M. sei eine Abkürzung und stehe für Rapid Eye Movement. Ach tatsächlich? Und F.B.I steht für Fachblatt Bureau of Investigation?

„Alle Jahre wieder taucht er (…) aus der Versenkung auf, um seine kleine aber getreue Anhängerschar mit einem neuen Werk zu erfreuen: Frankie Miller. Für sein erstes Lebenszeichen nach rund vier Jahren Funkstille hat der Schotte eine beachtliche Besetzung zusammengetrommelt.“
Warum nicht mal eine Kritik mit dem schwungvollen Slogan „Alle Jahre wieder“ beginnen? Ist doch schmissig, nicht? Und darauf zu verweisen, dass es im Zusammenhang mit vier Jahren Funkstille auch gänzlich sinnfrei ist, wäre Erbsenzählerei?
Darlin‘, I’m feeling pretty lonesome!

Und das Schönste zum Schluss:
Ex-10CCler Godley&Creme werden mit der interessanten Neuigkeit konfrontiert „Ihr habt auch ein Komikbuch über das Rockmusikgeschäft gemacht“.
Was für ein Buch?
Ein Komikbuch.
Steht da geschrieben!
Ich meine, dieses Zitat ist in der Tat das Highlight, weil es so unerklärlich bleibt. Heutzutage würde man vermutlich ein mieses Übersetzungsprogramm für den Fehler verantwortlich machen, aber derlei gab es ja damals noch nicht. Und die Autoren selbst müssten doch wissen, was sie gefragt haben.
Oder wurden beim Fachblatt die Interview-Tonbänder nicht von den Redakteuren selbst übersetzt, sondern von einem Veteran aus dem Zweiten Weltkrieg, der seinerzeit schon für die Nazis codierte Funksprüche der Alliierten entschlüsselte, und also ob seines greisen Alters und seiner strammen Gesinnung einfach nichts von der Existenz von Comics mitbekommen hat?

Es ist einfach zu herrlich, und ein fürwahr runder Schluss dieser kleinen Studie, denn letztlich ist ein Jahrgang Fachblatt natürlich nichts anderes als ein „Komikbuch“ in Reinkultur.
Ein Kleinod deutscher Nachkriegsrealsatire und nebenbei auch ein hervorragender historischer Spiegel der 80er-Jahre.
Und dass am gleichen Ort (Köln) zur gleichen Zeit noch eine ganz andere Musikpostille, nämlich die SPEX, produziert wurde, ein beinahe unglaublicher Treppenwitz der Kulturgeschichte.
Never Mind The Bull-Eyes!

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