Ich stellte sie mir immer so vor, wie Wolfgang Herrndorf sie gezeichnet hat – als nicht mehr ganz taufrische aber bildhübsche Diva mit Zigarettenspitze und Seidenkleid.
Jedenfalls damals in den 90ern als sie einer der Hauptgründe war, sich monatlich für 6 DM die neue Titanic zu holen.
Und war dann fast ein wenig enttäuscht, als ich erstmals ein Foto von ihr sah. In Wirklichkeit sah sie nämlich doch eher aus wie eine klassische norddeutsche Vertrauenslehrerin. Was sie ja schließlich auch war. Was aber natürlich die sprachliche Eleganz und die lakonische Anmut ihrer Texte nicht berührt.
Und dass man so wenig über die Person wusste, dass man sie sich frei vorstellen konnte, sagt auch einiges über ihre wundervolle Bodenhaftung und Nichtöffentlichkeit.
Eins glauben wir:
Fanny Müller war eine von den wenigen richtig Guten.
Den guten Schreibern sowieso.
Aber allgemeiner, den guten Menschen.
Denn anders kann man es sich nur schwer vorstellen.
Sie zeigte uns wie Glamour in der Gosse geht, Biblisches im Banalen, sie vermochte, wie kaum eine zweite, uns unser stinkgewöhnliches Großstadtbürgerleben auf eine Weise nachzuerzählen, dass man herzhaft darüber lachen konnte und gleichzeitig melancholisch wurde. Sie war die Lassie Singers in Schriftform. Sie hieß Müller! Wie auch sonst? Sie schrieb, neben Max Goldt, die einzige Literatur, die ich überhaupt konsumierte in den verrückten Jahren zwischen Abi und „huch, ich bin 35“; die im Nachhinein reichlich zugenebelte Zeit also, in der man Erfüllung noch im vermeintlich echten Leben (Disse, Genussmittelabusus, „Rummachen“) suchte und nicht hinter Buchdeckeln. Wahrscheinlich war ich unterbewusst in sie verknallt.
Sie sah Rex Gildo bei der Eröffnung eines Drogeriemarkts und spielte hinterher mit den Mädels Bridge. Sie hätte Typen wie mich von Herzen, aber nach außen dezent, verachtet.
Niemand weiß, ob sie mit Vornamen wirklich so hieß, ob das ein Spitzname war oder ein Pseudonym.
Sie war vermutlich, was die wenigsten sind: anständig.
Und sie konnte etwas, wovon ich ein Leben lang nur träumen kann: wirklich gut schreiben.
Jetzt ist sie tot.
Und ich bin traurig.

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