Gestern legte ich auf einer Party von mir allesamt unbekannten aber sehr netten Menschen auf. Was, abgesehen von dem geringfügigen Malus, heute morgen erst gegen halb sieben im Bett gewesen zu sein, durchaus ein veritabler Spaß war.
Zwei Ereignisse sind mir dabei im Gedächtnis geblieben, über die ich heute noch Mal intensiv nachdenken musste:
Gegen zwei Uhr nachts, als die Meute eh schon eifrig am tanzen war, spielte ich Can’t Get You Out Of My Head von Kylie Minogue – ein Song mit ca. 100%iger Tanzflächenfüllgarantie. Erwartungsgemäß wurde der Floor noch voller, mit den absehbaren „Laa laa laa“-Mitgröhlereien etc.
Da kam ein weiblicher Gast auf mich zu und beschwerte sich lauthals, wenn auch nur gespielt indigniert, dass sei ja wohl der totale sell-out, und noch dazu mit einer völlig uncoolen Nummer.
Nun, einerseits lacht da die DJ-Seele, denn als Britpop- und Indie-verliebter Mensch freut man sich natürlich über andere Wesen, denen solch abgenudelter Schmonz ein gutes Stück zu „mainstreamig“ erscheint.
Aber andererseits müsste ich bei genauerem Nachfragen einräumen, dass ich den Song eigentlich ganz okay finde. Jedenfalls kann ich ziemlich gut verstehen, warum das Ding einst so ein großer, weltweiter Hit geworden ist. Etwa so ähnlich, wie ich verstehen kann, warum Robbie Williams sich zum Superstar mauserte.
In der Tat ist es so, dass ich mir mal geschworen habe, auch auf stinknormalen Parties von Leuten mit durchschnittlichen Radiomusikkenntnissen niemals Musik zu spielen, die ich scheiße finde. Und es gibt eben in den Charts seit jeher nicht nur unglaubliche Mengen von Müll, sondern auch ganz, ganz viele Sachen, die richtig Laune machen.
Um es pointierter auszudrücken: mich interessiert eigentlich schon seit längerem nicht mehr, ob etwas „indie“ oder sonstwie vermeintlich cool ist – es interessiert mich ausschließlich, ob mir ein Song gefällt oder nicht.
Popmusik ist Popmusik, m.a.W. sie ist da, um Menschen für einen kurzen aber guten Moment Freude zu bereiten. Nicht, um den intellektuellen Dünkel eines esoterischen Kreises von Erleuchteten zu befriedigen. Stichwort: Stock im Arsch.

Einige Zeit später spielte ich Bulletproof von La Roux, und da kam ein Typ zu mir und meinte, diese Kylie Minogue würde mir doch wohl langsam selbst zum Hals raushängen.
Ich brauchte einige Zeit, um zu begreifen, was er meinte. Aber es war natürlich schlicht dies: Er dachte, es handele sich um einen weiteren Song von Kylie Minogue.
Q.e.d.
Denn zugegebenermaßen gehöre ich selbst auch zum Kreise der oben erwähnten Erleuchteten mit dem Stock im Popo, und bei unsereins ist nun mal La Roux gerade angesagt, während Kylie schon immer bäh war. Aber für den Ottonormalkonsumenten hört es sich am Ende einfach gleich an – ist halt so Frauenpop ohne Gitarren.
„Mach ma Ska, Alter!“

Die Moral von der Geschicht: es bleibt eine Gratwanderung.
Man möchte ja den heiligen guten Geschmack nicht gänzlich dem Vergnügen anderer opfern.
Mein Glück: ich liebe eine Handvoll Songs von Kate Nash, Amy Winehouse und Lily Allen.
Und ich liebe, äh, Ghetto Superstar (nur ein Beispiel)…
But I‘m still not playing Michael Jackson, Modern Talking or Max, Don’t Have Sex With Your Ex!
Sowas will nämlich, und das ist das eigentlich Schöne, auch meistens wirklich keiner hören.
(I got one request for Take That, but that could be labelled Britpop in a very broad sense of the word…)

Zweite Moral von der Geschicht: Machen Sie sich nichts vor! Auch auf Parties von uns vermeintlichen Musiknazis wollen die Weiber irgendwann Madonna und Take That hören, und die Jungs Nirvana und Rage Against The Machine. So there’s no fuckin‘ difference!

Dritte Moral von der Geschicht: Am Ende hat man immer eine CD weniger (goldene, alte DJ-Regel).
Diesmal erwischte es die neue Tocotronic, die ich zu allem Überfluss auch noch von einem guten Freund geschenkt bekommen hatte. Aus unerfindlichen Gründen war sie heute morgen beim Einpacken ums Verrecken nicht mehr aufzufinden. Dabei hatte ich die noch nicht mal gespielt!
Und das Traurigste an dieser Geschichte:
es gibt weitaus schlimmere Verluste.
(Der verlinkte Song ist der einzige auf dem neuen Album, der tatsächlich, wie früher, aus purem Gold ist.)

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